Der Spiegel im Spiegel
Lächeln, «es wird noch immer daran genäht. Sobald es fertig ist, werde ich auftreten. Es kann nicht mehr lange dauern, denn ich warte schon am längsten von allen hier.»
Wir wollten wissen, um was für eine Art von Kostüm es sich handle.
«Eine Königsrobe», sagte er. «Die Hauptsache ist natürlich die Krone, zuerst eine wirkliche aus Gold, später dann eine papierene. Für den letzten Akt benötige ich außerdem einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen. Und Krücken - ja, Krücken werde ich wohl auch bekommen, denn ich werde ja einbeinig sein, wie ihr wohl wißt.»
Wir erklärten ihm, daß wir so gut wie nichts davon wüßten, daß uns jedoch so sei, als ob wir dieses Kostüm schon einmal irgendwo gesehen hätten.
«Nein, nein», sagte der Alte und schüttelte den Kopf wie ein eigensinniges Kind, «das ist ganz ausgeschlossen. Es ist ja noch nicht fertig, sonst hätte ich es doch schon an. Es ist doch mein Kostüm!»
Wir baten ihn, uns doch von seiner Rolle zu erzählen.
«Sie ist sehr schön», begann er, «und die wichtigste, das versteht sich. Ich spiele den Glücklichen Herrscher.»
Wir vermuteten, daß es sich um ein historisches Stück handle, aber der Alte schüttelte wieder den Kopf.
«Nein, keineswegs. Für dergleichen würde ich meine Darstellungskunst nicht zur Verfügung stellen. Es handelt sich vielmehr um wirkliches Theater, also um ein Märchen, oder - wenn ihr die Bezeichnung vorzieht - um ein Mysterienspiel. Zu Beginn sitzt der Glückliche Herrscher als König auf einem gewaltigen steinernen Thron, einem Thron wie ein Berg. Ich, also der König, herrsche über ein grenzenloses Reich - aber ich bin nicht frei. Mein linker Fuß ist an dem steinernen Thron festgeschmiedet. Nun entsteht ein Aufruhr, angezettelt vom Schreiber des Königs. Dieser und einige andere Diener wollen mich stürzen, um sich selbst auf den Thron zu setzen. Doch zeigt es sich, daß ich - also der König - nicht abzusetzen bin, da ich ja eben an den Thron festgeschmiedet bin und die Kette unzerreißbar ist.»
Der Alte verstummte und blickte erwartungsvoll drei Männern entgegen, die den Korridor herunter kamen. Sie trugen behutsam ein königliches Gewand und zwar dergestalt, daß zwei von ihnen je einen der langen Ärmel ausgespannt hielten, der dritte aber die Schleppe trug, so daß das Kleid selbst fast wie eine Person erschien, die zwischen ihnen schwebte. Es war ohne Zweifel ein Frauengewand.
Nachdem die drei Männer es sorgsam auf den Schoß des Alten gelegt hatten, gingen sie schweigend davon. Dieser strich mit der Hand gedankenverloren über die kostbare Goldstickerei, doch schien er dem Kleid weiter keine Beachtung zu schenken.
«Da die Kette unzerreißbar ist», fuhr er in seiner Erzählung fort, «schlagen die Aufrührer das Bein des Königs ab und zerren ihn von seinem Thron herunter. Wie er so hilflos am Boden Hegt, ein Bündel Blut und Schmerz, nehmen sie ihm noch die goldene Krone und setzen ihm eine papierene aufs Haupt. Sie halten ihn für tot. Es ist Nacht, der Sturmwind heult. Sie schleppen ihn vor die Stadt hinaus und werfen ihn in eine Müllgrube.»
Der alte Schauspieler hielt bewegt inne.
«Lumpensammler finden den reglosen Körper, entdecken noch ein Fünkchen Leben in ihm, nehmen ihn mit in ihre Wohnlöcher und pflegen ihn im Verborgenen, bis seine schreckliche Wunde verheilt ist. Darüber geht viel Zeit hin. Die Häscher des neuen Herrschers, des Schreibers, sind überall und haben tausend Augen und Ohren. Darum bitten die Lumpensammler den König zu fliehen in die Wildnis der Berge, wo niemand ihn finden kann. Sie geben ihm alte Fetzen zum Anziehen und Krücken, auf denen er sich fortbewegen kann.»
Wieder hielt der Alte inne und richtete sich gespannt auf. Den Korridor herunter kamen zwei Frauen, die zwischen sich einen aus allerlei Flicken zusammengenähten kleinen Anzug trugen, dessen eines Bein in Höhe des Knies abgeschnitten und zusammengezogen war. Es handelte sich, nach der Größe zu schließen, um ein Kleidungsstück für ein etwa sechsjähriges Kind. Die beiden Frauen warfen dem Alten das Lumpenkleidchen vor die Füße, nahmen das königliche Frauengewand von seinen Knien und verschwanden damit den Korridor hinunter.
Nach einem kleinen entschuldigenden Lächeln fuhr der Alte in seinem Bericht fort: «Damit er nicht ganz schutzlos sei und sich ernähren könne, geben sie dem König außerdem noch einen Bogen und einen Köcher voller guter Pfeile mit. So irrt der einbeinige
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