Der Spiegel im Spiegel
Mann mit seiner Papierkrone auf dem Haupt nun lange Zeit durch die Schluchten und Wildnisse eines Landes, das er nicht kannte und über welches er doch herrschte. Er ist ein guter Schütze und ein erfahrener Jäger, niemals fehlt sein Pfeil, wenn er ein Wild schießt - und doch werden die Pfeile in seinem Köcher durch ein geheimnisvolles Verhängnis weniger und weniger. Schließlich sind es nur noch sieben. Da packt den Einsamen wilder Zorn gegen die Mächte des Schicksals. In einer Nacht, die noch finsterer und sturmzerwühlter ist als jene andere, schleppt er sich auf den Gipfel des höchsten Berges. Auf der kahlen, eisigen Felsschroffe hockt er sich nieder. Seine Krücken schleudert er mit lautem Hohngelächter in den Abgrund, dann schießt er, ungeheuerliche Flüche und Verwünschungen heulend, alle Pfeile, die ihm noch verblieben sind, hinauf in den wolkenwälzenden Himmel. Erhobenen Hauptes wartet er auf den Blitzstrahl, der ihn für seinen Frevel zerschmettern wird. Doch nichts geschieht.» Zum dritten Mal unterbrach der Alte seine Erzählung. Den Korridor herunter kam ein einzelnes Kind, das sich mit einem großen Haufen Stoff auf seinen Armen abschleppte. Als es seine Last vor dem Alten niederlegte, war zu sehen, daß es sich um einen ledernen Pilotenanzug handelte, samt Brille, Stulpenhandschuhen und pelzgefütterten Stiefeln. Das Kind nahm schweigend die Lumpen auf und verschwand in der gleichen Richtung wie die Vorigen.
Der alte Schauspieler hatte auch diesmal dem Vorgang keine sonderliche Beachtung geschenkt. Nun stand er auf und warf sich die Pferdedecke nach Art einer Toga um den ausgezehrten Leib. Mit leuchtenden Augen und großer Gebärde fuhr er in seiner unterbrochenen Rede fort:
«Noch immer sitzt der König auf der Felsschroffe, sein Bart, sein Haar, die Fetzen seines Kleides wehen im Sturm. Da hört er das Wiehern von Rossen. Sieben Reiter kommen durch die Wolken auf ihn zu. Sie tragen leuchtend weiße Gewänder, sie sitzen aufleuchtend weißen Pferden. Während sie langsam herankommen, erkennt der König, daß jedem der Reiter ein Pfeil mitten im Herzen steckt. Also doch, denkt er, nun endlich kommt die Vergeltung, die göttliche Rache! Die Reiter sind heran, sie steigen von ihren Pferden, sie treten vor ihn hin - und verneigen sich ehrerbietig. Dann ziehen sie die Pfeile aus ihrer Brust und legen sie, einer nach dem anderen, vor ihm nieder. Der König vermag nicht zu sprechen. Seine Hände tasten über die Pfeile, die zu leuchtendem Gold geworden sind. Er blickt auf, schaut in die Augen der weißen Reiter - und erkennt sie...» Hier unterbrach der Alte noch einmal seinen Bericht, denn wieder kam eine Gruppe von Menschen durch den Korridor heran, diesmal aus der entgegengesetzten Richtung. Es war einer der drei Männer, eine der beiden Frauen und ein Kind, aber ein anderes als jenes, das die Pilotenkleidung gebracht hatte. Sie nahmen diese vom Boden auf und gingen, ohne etwas anderes dafür zu hinterlassen, in der Richtung davon, aus welcher die Gruppen zuvor gekommen waren. Der alte Schauspieler setzte sich auf seinen Schemel nieder, zog die Pferdedecke fröstelnd um seinen Leib und schien auf einmal sehr erschöpft.
Wir drangen in ihn, uns doch zu Ende zu erzählen und uns zu verraten, wer die wunderbaren Reiter seien, die der König erkannt habe. Aber der Alte schüttelte nur wieder eigensinnig den Kopf und sagte: «Wie soll ich das wissen?»
Ob er es uns denn nicht mitteilen dürfe, ob es ein Geheimnis sei?
Er antwortete müde: «Wenn ich meine Rolle gespielt haben werde, dann werde ich es wissen -und ihr auch. Wozu wäre sonst das ganze Spiel notwendig?»
Plötzlich nahm sein Gesicht einen leidvollen, ja gequälten Ausdruck an, und er fragte hastig: «Oder haltet ihr für möglich, daß inzwischen jemand anders meine Rolle gespielt haben könnten warte schon so lang. Glaubt ihr, daß es das gibt?»
DAS FEUER WURDE VON NEUEM ERÖFFNET.
Die nächtliche Zitadelle war ein Inferno aus pfeifenden Kugeln, jaulenden Querschlägern, heulenden Granaten und dem Donnern einstürzender Mauern und Decken.
Der bärtige Diktator floh mit weitausgreifenden, halb schwebenden Sprüngen durch die finsteren Korridore, durch Hallen und Loggien, fiel in der Dunkelheit über zerborstene Statuen und verfing sich in zu Boden gestürzten Kronleuchtern, rollte eine marmorne Treppe hinunter, blieb liegen, raffte sich auf und taumelte weiter. Seine schwarzglänzende Lederuniform war zerfetzt und von
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