Der Spieler
gespielt hat. Und dieses geographische Patchwork nennt er Roulettenburg. Thomas Mann meinte, für einen deutschen Kurort sei ein solcher Name »unwahrscheinlich« und »geschmacklos«, spricht aber gleichzeitig von »einem wundervollen Roman,« der die »Psychologie der Leidenschaft nebst der des Dämons Zufall mit unerhörter Wahrheit bloßlegt.« Mit Roulettenburg, so dürfen wir heute sagen, kennzeichnet Dostojewskij das Las Vegas seiner Gegenwart: die Spielbank als Zentrum internationaler Episoden. Die Hoffnung und Sehnsucht, am Roulette mit einem Schlag reich zu werden, schafft eine geschlossene Welt, fernab von dem in greifbarer Nähe verlaufenden bürgerlichen Alltag, und vereinigt ein höchst diverses internationales Publikum.
Dostojewskijs
Spieler
erscheint am 1 . Dezember 1866 in Petersburg, wo er ihn noch im Oktober im Verlauf von 26 Tagen einer jungen Stenografin diktiert hatte, die er wenige Monate später heiratet: Anna Grigorjewna Snitkina. Solch ungewöhnlich schnelle Fertigstellung eines druckreifen Manuskripts von 192 Seiten, deren Details Snitkina in ihren
Erinnerungen
festhielt, lässt allerdings leicht vergessen, dass Dostojewskij das »Sujet der Erzählung« bereits 1863 deutlich vor Augen hat, als er seinem Freund Nikolaj Strachow in einem Brief vom 18 . September aus Rom Folgendes mitteilt:
Der Plan
»
Fertig
habe ich noch nichts. Doch es formierte sich ein (wie ich meine) recht glücklicher Plan für eine Erzählung. Geschrieben hauptsächlich auf Zettel. (…) Das Sujet der Erzählung sieht so aus: ein Typus des Russen im Ausland. Nota bene: von den Russen im Ausland waren im Sommer die Zeitungen voll. All das findet sich in meiner Erzählung wieder. Und überhaupt spiegelt sich der ganze gegenwärtige Augenblick unseres inneren Lebens darin wider (natürlich nur soweit das möglich ist). Ich nehme eine spontane Natur, einen Menschen vielseitig gebildet, aber in keiner Sache wirklich ausgereift, der seinen Glauben verloren hat,
aber nicht wagt, nicht zu glauben
, der sich gegen Autoritäten auflehnt, sie aber fürchtet. Er beruhigt sich damit, dass es in Russland
nichts zu tun gibt
, und deswegen kritisiert er gnadenlos die Leute, die unsere Russen aus dem Ausland nach Russland zurückrufen. Aber alles das zu erzählen, geht ja gar nicht. Er ist ein lebendiger Mensch (ich sehe ihn schon richtig vor mir) – und man wird nicht zu lesen aufhören, wenn er schriftlich vorliegt. Die Hauptsache besteht darin, dass all seine Lebensenergie, seine Kraft, sein Ungestüm, seine Kühnheit vom Roulette vereinnahmt wird. Er ist ein Spieler, aber nicht einfach ein Spieler, so wie auch Puschkins geiziger Ritter nicht einfach geizig ist. Damit will ich mich nicht mit Puschkin vergleichen. Ich sage das nur der Deutlichkeit halber. Er ist auf seine Weise ein Dichter, aber so, dass er sich dieser Poesie schämt, weil er deren Niedrigkeit zutiefst empfindet, wenn auch die Notwendigkeit des
Risikos
ihn selber in seinen eigenen Augen veredelt.«
Soweit Dostojewskijs soziologische und psychologische Charakteristik seiner Hauptgestalt. Die anschließende Passage seines Briefes nimmt eine völlig überraschende Wendung: »Wenn das
Tote Haus
die Aufmerksamkeit des Publikums mit einer Darstellung von Zuchthäuslern auf sich gezogen hat, wie sie vor dem
Toten Haus
noch niemand so
anschaulich
vor Augen geführt hatte, so wird diese Erzählung die unmittelbare Aufmerksamkeit als
anschauliche
, bis ins letzte Detail gehende Darstellung des Roulette-Spiels auf sich ziehen. Außerdem, wenn schon die betreffenden Zeitungsartikel bei uns mit außergewöhnlichem Interesse gelesen werden – so kommt dem Glücksspiel in den Kurorten, insbesondere mit Bezug auf die Russen im Ausland, durchaus eine (doch wohl nicht ganz unerhebliche) Bedeutung zu. (…) Eine vielleicht gar nicht so schlechte Sache. Hat doch auch das
Tote Haus
die Neugier geweckt. Auch dies ist ja die Beschreibung einer Art von Hölle, einer Art ›Dampfbad‹ im Zuchthaus. Mein Ziel und Bestreben ist es, ein Bild zu erschaffen.«
Dostojewskij ist, wie man sieht, von seinem »Plan« ganz begeistert und argumentiert hier rezeptionspsychologisch. Die Russen am Roulette im Ausland sind genau so aktuell und Beispiele für entlegene Existenzformen wie die Sträflinge in Sibirien. Mit dem »Dampfbad«, das er in seinem Schreiben an Strachow erwähnt, spielt er auf eine ungemein bildhafte Szene in seinen
Aufzeichnungen aus einem toten Haus
( 1862 ) an, die
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