Der Spinnenmann
Lennart unangenehm war, und wollte sie nicht noch verschlimmern.
Außerdem hatte er eine glaubwürdige Geschichte konstruiert, eine, bei der ich leicht mitspielen konnte. Aber für jemanden, der Lennart so gut kannte wie ich, bestand kein Zweifel daran, dass er log. Das hörte ich aus seinem Tonfall, sah ich in seinem flackernden Blick.
Aber der wichtigste Grund, warum ich den Mund hielt, war, dass ich eine schockierende Entdeckung gemacht hatte.
Anfangs hatte Lennart gewirkt wie früher - mit seinen scharf gezeichneten Zügen und den dunklen wogenden Haaren, die ihn zum Publikumsliebling gemacht hatten. Aber er war viel launischer als in meiner Erinnerung. Lachen und Wutausbrüche lagen nicht weit auseinander. Bei unserem Gespräch konnte ich auch seine Blässe nicht übersehen. Und als mein Verdacht erst geweckt war, registrierte ich ein vertrautes Symptom nach dem anderen. Ruhelose Hände, dunkle, aufgedunsene Ringe unter den Augen, winzige Pupillen.
Ich musste mit aller Kraft gegen meine Tränen ankämpfen.
Die Schüsse auf dem Atlantik
Gegen zwei Uhr am Mittwoch, dem 10. Januar, saß ich in einer Droschke und fuhr den Tvetenvei entlang. Es war ein rauer, unfreundlicher Tag ohne Schnee und mit einer roten Sonne, die trübe durch den Frostnebel leuchtete.
Es fiel mir sehr schwer, die Augen offen zu halten. In letzter Zeit hatte ich nicht viel geschlafen. Immer wieder hatte ich mich im Bett auf die andere Seite gewälzt, während die Erinnerungsbilder aufgetaucht waren: Lennart und ich, wie wir uns von der Straßenbahn über die Bentsebrücke ziehen ließen. Lennart und ich an einem frühen Junimorgen oben auf einem Fabrikschlot mit Aussicht über den Oslofjord. Lennart und ich nebeneinander oben auf Myralokka, während die Jungs aus Sagene ungeduldig auf die Prügelei mit dem Pöbel aus Torshov warteten.
Auch in dieser Nacht war Lennart mir immer wieder durch den Kopf gegangen. Erst gegen Morgen war ich in einen schweißnassen, unruhigen Schlaf gesunken.
Gegen elf Uhr rief die Zeitung an. Der Chef vom Dienst wollte mich unbedingt nach Oskroken bei Tveten schicken, um den Fuhrmann Karsten Johansen für die Zeitung des nächsten Tages zu interviewen. Johansen hatte sich bei der Redaktion gemeldet und behauptet, am späten Nachmittag gestern über Ostmarka ein geheimnisvolles Licht gesehen zu haben. Bei allem Aufsehen in der Presse, das das »fliegende X« erregt hatte, durften wir uns diesen Leckerbissen nicht entgehen lassen.
Die Spukflugzeuge, die zuerst unmittelbar vor dem Jahreswechsel in der Gegend von Umeä gesichtet worden waren, waren dann auch über ganz Västerbotten aufgetaucht. Polizei und Zoll wurden für die Jagd nach Schmugglerflugzeugen mobilisiert, danach wurden Verteidigungsminister Vennerström und der Chef der schwedischen Luftwaffe alarmiert. Bald wurde in der Presse lauthals über russische Spionageflieger und eine neue geheime Route zwischen Archangelsk und dem Atlantik spekuliert.
Danach stieg die Menge der Beobachtungen auf beunruhigende Weise. In Tärnaby und Haparanda wurde die Nachtruhe der Menschen immer wieder von diesen Geisterfliegern gestört. Am Bottnischen Meerbusen hatte die berühmte Rennfahrerin Greta Molander in ihrem Autoradio seltsame Signale empfangen. In Karesuando kam es zu Tumulten, als der Prophet Korpela seinen Anhängern mitteilte, der Geisterflieger sei Jesus selbst, auf dem Weg, die Gläubigen zu holen.
Bald griff die Seuche auf die andere Seite der Grenze über. Anfang Januar erblickten Menschen im norwegischen Vika ein klares Licht, das sich rasch in westliche Richtung bewegte, einige Tage danach sah eine Schiffsmannschaft ein geheimnisvolles Flugzeug, das den Nasraysund ansteuerte. Später gab es auch weiter im Süden derartige Beobachtungen. In der Umgebung von Oslo stand uns der Anblick eines Geisterfliegers jedoch noch bevor.
Ich war inzwischen so sehr zum Pressemann geworden, dass mir der Nachrichtenwert bewusst war, so groß Fuhrmann Johansens Fantasie auch sein mochte.
Die Stadt lag jetzt hinter uns, und wir fuhren durch das breite, trostlose Tal in Richtung Bryn durch eine Mischung aus Industriegebiet und Bauernland, wo große Fabrikkomplexe aus Stein und Beton sich als dunkle Silhouetten vor den winternackten Feldern abzeichneten. Nachdem wir am Kristiania Teglverk und der Zinkhvidtfabrik vorbeigekommen waren, bog die Droschke auf eine Seitenstraße ab. Die führte vorbei an einer Brandstätte, wo stinkender, brennender
Weitere Kostenlose Bücher