Der Spinnenmann
zwischen einer Klempnerwerkstatt und einem Schrottlagerplatz am Akerselv.
Frau Weger hatte sich mit dieser Lage nie ganz abfinden können. Deshalb hatte sie die Aussicht mit schweren tiefroten Samtportieren versperrt. Dahinter lebte sie in einer protzigen und übermöblierten Welt. Das Wohnzimmer erinnerte an einen Antiquitätenladen mit einer köstlichen Mischung aus mehrteiligen Rokokospiegeln, dickbäuchigen altdeutschen Piedestalen und bestickten Empiresesseln. Viele der zahllosen Gegenstände, mit denen sie im Laufe der Jahre ihre Wohnung gefüllt hatte, segelten unter falscher Flagge. Eine imponierende Gutenberg-Bibel entpuppte sich als Nähkasten. Ein funkelnder Römerhelm war ein Aschenbecher. Auf dem Büffet im Esszimmer stand ein Bierkrug in Gestalt eines Mönchs, der bei jedem Schluck geköpft wurde. Ein livrierter hölzerner Neger in der Diele diente als Schirmständer.
Damals war die ganze Herrlichkeit meiner Obhut übergeben worden, denn wie es sich für feinere Damen gehört, hatte Frau Weger eine Schwäche auf der Lunge und verbrachte lange Perioden im Sanatorium in Hakadal. Ich ließ mich auf die Biedermeierchaiselongue fallen und schlief sofort ein.
Hier lag ich noch immer, als um halb eins das Telefon in der Diele klingelte. Es war Holt, der Nachtredakteur. »Erfjord, rein in die Klamotten! Am Grev Wedels plass ist eine Leiche gefunden worden. Svendsen erwartet dich dort.«
Ehe ich mich fassen konnte, hatte er aufgelegt.
Der Grev Wedels plass liegt zurückgezogen am Südostende der Quadratur, unterhalb des Bankplass. Er ist ein Park mit Kastanien und Pyramidenpappeln und den ältesten Wasserbecken der Stadt, Straßen umgeben ihn auf drei Seiten. Wenn keine Veranstaltungen in den Räumlichkeiten der alten Loge stattfinden, wird die Umgebung geprägt von den Heuerkontoren der Reedereien, dem Lokal Sjofartskafeen sowie dem »Mottloch«, das seinen Namen angeblich trägt, weil der Platz in früheren Zeiten eine zur Bucht Bjorvika gelegene Sumpfgegend war. Jetzt passte der Name ebenso gut zur Kundschaft. Abgesehen von dem einen oder anderen taumelnden Nachtschwärmer war die Gegend um diese Zeit eigentlich menschenleer. Aber schon als die Droschke in die Kirkegate einbog, sah ich, dass diese Nacht eine Ausnahme bildete. Die ganze Straße war blockiert von abgestellten Droschken. Ich beschloss, das letzte Stück zu Fuß zurückzulegen.
Die Polizei hatte die ganze Südseite des Grev Wedel plass abgesperrt. Hinter der Sperre, schräg vor der Loge, stand ein großer Dodge älteren Jahrgangs. Das Verdeck und die Vorhänge der Seitenfenster waren geöffnet. Türen und Trittbrett waren schlammverschmiert, was andeutete, dass dieser Wagen weit und schnell gefahren war.
Neben dem Wagen stand Hauptkommissar Redvald Larssen, ins Gespräch vertieft mit Birkelund, dem Fingerabdruckexperten der Kriminalpolizei. Einige Meter weiter hatte Polizeifotograf Nygaard seine Kamera aufgestellt, um ein Übersichtsbild zu machen. Das blauweiße Licht der Magnesiumbomben ließ die nackten Bäume plötzliche Schatten über den Park werfen.
Vor der Sperre, etwa zwanzig Meter vom Auto entfernt, stand eine Gruppe von Presseleuten und schaulustigen Droschkenfahrern - vermutlich hatten Letztere die Zeitungen über den Leichenfund informiert. Ich entdeckte Mr. George. Schon auf diese Entfernung konnte ich sehen, dass er wütend war. Mit gespanntem Rücken und hochgezogenen Schultern beugte er sich über das Absperrseil und gestikulierte. Hinter dem Seil, Mr. George unmittelbar gegenüber, stand Kriminalrat Sverre Riisnass, hochaufgerichtet und äußerst sorgfältig gekleidet. Es war deutlich, dass ihm die ganze Situation überaus peinlich war. Als ich näher kam, hörte ich ihn sagen: »Die Presse wird wie immer von Hauptkommissar Larssen informiert werden. Darüber hinaus haben wir zum jetzigen Zeitpunkt …«
»Und was ist mit dem jungen Spund da?«, fiel Mr. George ihm wütend ins Wort. »Ist der vielleicht zum jetzigen Zeitpunkt in die polizeiliche Ermittlungsgruppe aufgenommen worden, oder was!«
Er fuchtelte mit dem Finger in Richtung Dodge.
Dessen eine Hintertür war jetzt geöffnet. Drinnen konnte ich einen Mann sehen, der gerade das Wageninnere durchsuchte. Ich kannte ihn von früher: Aftenpostens junger Kriminalreporter Steinar Medb0e.
Riisnaes schaute über unsere Köpfe hinweg und räusperte sich.
»Aftenposten ist aus diesem Anlass eine Sonderabmachung eingegangen, durch die …«
»Sonderabmachung!
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