Der Spinnenmann
immer erinnerte er mich an einen zurückhaltenden und vergesslichen Buchprüfer, bleich, dünn, mit abgewetzten Knien und einem nachdenklichen Blick hinter dem Lorgnon. Er machte einige rasche Handbewegungen, um festzustellen, ob ich mir vorher Mut angetrunken hatte.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin seit gestern Morgen auf den Beinen. Ich bin todmüde.«
Knutsen nickte mitfühlend. Dann wurden wir auf andere Gedanken gebracht.
Ein Summen durchlief die versammelten Presseleute und kündigte den Augenblick an, auf den alle gewartet hatten. Oberkommissar Larssen betrat den Raum und brachte die sorgfältig in zehnfacher Ausfertigung abgezogene Pressemitteilung mit. Er las sie vor, dann wurde sie verteilt. Es gab vier Abschnitte, verfasst im nüchternen Stil des Hauptkommissars. Soweit ich den Inhalt mitbekam, enthielten sie wenig Neues.
Larssen hielt eine kurze Ansprache an die erwartungsvoll Versammelten. »Alles, was wir bekanntgeben können, steht in diesem Rundschreiben«, sagte er. »Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir auf keinerlei Fragen ein.«
»Wann wird Professor Harbitzens Obduktionsbericht veröffentlicht?« Das war Axel Kielland von Dagbladet.
Redvald Larssen winkte ab und verließ den Raum.
Knutsen beugte sich zu mir vor. »Hast du sowas schon mal erlebt?« Er machte eine Kopfbewegung hinüber zu den Büros der Ermittlungspolizei. »Und jetzt wird das da drinnen ganz schön hektisch zugehen.«
Ich nickte und gab vor, mich in die Pressemitteilung zu vertiefen. Ich plante einen Besuch »da drinnen«, sowie ich im Empfangsraum allein wäre.
Die Türen auf beiden Seiten des langen Ganges standen offen, und ich musste immer wieder eiligen Beamten ausweichen, die mit einem Bericht in der Hand oder einer Schreibmaschine unter dem Arm von einem Büro ins andere liefen. Überall klingelten Telefone. In einem Raum saß etwa ein Dutzend Beamte und vernahm Zeugen, durch spanische Wände voneinander getrennt. Endlich fand ich Chefermittler Reidar Sveens Büro. Die Tür war angelehnt.
Ich versetzte ihr einen leichten Stoß. Sveen saß hinter seinem Schreibtisch, umgeben von Papierstapeln, während seine Vorgänger in ovalen Rahmen hinter ihm an der Wand hingen. Er erinnerte mit seinen blonden Haaren und seinem gutmütigen Aussehen an einen reichen Bauern. Er hatte ein zufriedenes Gesicht, als ob er sich nach einem guten Frühstück wohlfühlte, und nippte an einer Tasse Tee, während er sich mit einem Mann unterhielt, der mir den Rücken zukehrte.
Sveen schaute auf. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«, fragte er ernst.
Ehe ich antworten konnte, drehte sich der Mann im Besuchersessel um. Es war Sven Elvestad. Der Meister selbst hatte mich auf der Zielgeraden überholt.
»Nein, nein«, stammelte ich. »Ich habe mich in der Tür geirrt. Entschuldigung.«
Ich schloss die Tür und wollte gehen, da legte sich eine schwere Hand auf meine Schulter. Es war Kriminalrat Sverre Riisnaes. Er musterte mich mit strengem Blick von Kopf bis Fuß. »Erik Erfjord, nicht wahr?«
»Ja, ja, das ist schon richtig.«
»Würden Sie für einen Moment mit in mein Büro kommen?« Riisnaes packte meinen Arm. »Ich muss etwas Wichtiges mit Ihnen besprechen.«
Bei Riisnaes mit dem eisernen Absatz
Ich hatte nie gewusst, was ich von Riisnaes halten sollte. Dieses Gefühl teilte ich wohl mit den meisten Kriminalreportern in der Stadt. Er war überspannt und empfindlich. Eine total unschuldige Frage konnte ihn dazu bringen, auf den Tisch zu schlagen und die Fragerunde mit einer langen und scheinbar gänzlich unmotivierten Verteidigungsrede abzubrechen. Bei einem Gespräch mit Riisnaes saß man immer wie auf Nadeln.
Und heute war alles noch viel schlimmer als sonst. Die Vorstellung, dass er von meinem Einbruch in Rustads Haus gehört haben könnte, ließ meinen Rücken nass werden.
Riisnaes stellte sich mit dem Profil vor das Fenster zum Youngstorg und winkte zu einem Stuhl hinüber. »Setzen Sie sich.«
Ich setzte mich.
»Die Osloer Polizei ist immer um ein gutes Verhältnis zur Presse bemüht. Nicht wahr, Erfjord?«
»Doch …«
»Genau! Aber ein solches Arbeitsklima erheischt Respekt auf beiden Seiten. Und es gibt gewisse Grenzen, die niemals überschritten werden dürfen!«
Er wandte sich um und starrte mich mürrisch an.
Mein Magen krampfte sich zusammen. Jetzt kommt es, dachte ich. Beim Einbruch erwischt! Meine journalistische Karriere war zu Ende, noch ehe sie richtig angefangen hatte. Bei diesem
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