Der Spion, der aus der Kälte kam
Whiskyflasche und goß ein wenig in jedes Glas.
»Wir haben leider kein Soda«, sagte er. »Wollen Sie Wasser haben? Ich habe Soda bestellt, aber sie brachten nur irgendeine schlechte Limonade.«
»Ach, zum Henker mit Ihnen«, sagte Leamas. Plötzlich fühlte er sich sehr müde.
Fiedler schüttelte den Kopf. »Sie sind ein sehr stolzer Mann«, bemerkte er, »aber das macht nichts. Essen Sie Ihr Abendbrot und gehen Sie zu Bett.«
Einer der Wachtposten kam mit einem Tablett herein - Schwarzbrot, Wurst und grüner Salat.
»Es ist etwas einfach«, sagte Fiedler, »aber ganz zufriedenstellend. Leider gibt es keine Kartoffeln. Es herrscht eine vorübergehende Knappheit.«
Sie fingen schweigend zu essen an, Fiedler sehr sorgsam, wie ein Mann, der seine Kalorien zählt.
Die Wachen führten Leamas zu seinem Schlafzimmer. Sie ließen ihn sein Gepäck selbst tragen. Es war dasselbe Gepäck, das ihm Kiever vor der Abreise aus England gegeben hatte. Er ging zwischen ihnen den breiten Mittelkorridor hinunter, der von der Eingangstür durch das Haus führte. Sie kamen zu einer großen Doppeltür, die dunkelgrün gestrichen war, und einer der Wachtposten schloß auf. Sie bedeuteten Leamas, zuerst hineinzugehen. Er stieß die Tür auf und befand sich in einem kleinen, kasernenartig eingerichteten Raum mit zwei Stockbetten, einem Stuhl und einem primitiven Schreibtisch. Es war wie in einem Gefangenenlager. An den Wänden hingen Mädchenbilder und vor den Fenstern waren Läden. An der gegenüberliegenden Seite des Raumes befand sich eine weitere Tür, auf die die Wächter wiesen. Er stellte sein Gepäck ab, ging hin und öffnete sie. Der zweite Raum war ebenso wie der erste, aber es stand nur ein Bett darin, und die Wände waren kahl.
»Sie holen die Koffer«, sagte er. »Ich bin müde.«
Er zog sich aus, warf sich aufs Bett und war in wenigen Minuten fest eingeschlafen.
Ein Posten weckte ihn mit dem Frühstück: Schwarzbrot und Ersatzkaffee. Er stand auf und ging zum Fenster.
Das Haus stand auf einer Anhöhe. Dicht vor seinem Fenster begann ein steil abfallender Hang, so dass der Blick über Kiefernwipfel hinweg auf dichtbewaldete Höhenzüge fiel, die sich regelmäßig hintereinander gestaffelt in der Ferne verloren. Hier und da leuchtete ein Kahlschlag oder eine Brandschneise als dünne bräunliche Trennlinie aus dem grünen Meer der Kiefern hervor, als habe dort Arons Stab auf wunderbare Weise die massiven Wogen der vordringenden Wälder geteilt. Menschen schien es hier nirgends zu geben: kein Haus, keine Kirche, nicht einmal die Ruine einer früheren Behausung - nur der Weg, der gelbe Schotterweg, der wie eine mit dem Pastellstift gezogene Linie durch die Mulde des Tales führte. Es war kein Laut zu hören. Es schien unglaubhaft, dass derartige Weite so still sein konnte. Es war ein klarer, kalter Tag. Es mußte in der Nacht geregnet haben. Der Boden war feucht, und die ganze Landschaft hob sich so scharf gegen den weißen Himmel ab, dass Leamas noch auf den fernsten Hügeln einzelne Bäume unterscheiden konnte.
Er zog sich langsam an, während er den bitteren Kaffee trank. Er war mit dem Ankleiden fast fertig und wollte gerade das Brot zu essen beginnen, als Fiedler hereinkam.
»Guten Morgen«, sagte er gutgelaunt. »Lassen Sie sich durch mich nicht beim Frühstück stören.« Er setzte sich aufs Bett. Leamas mußte zugeben: Fiedler hatte Mut. Zwar gehörte sicher nicht viel Tapferkeit dazu, ihn in seinem Zimmer zu besuchen, da die Wachen noch im anschließenden Raum waren, wie Leamas annahm, aber in Fiedlers Auftreten waren Ausdauer und eine bestimmte Zielstrebigkeit spürbar, die Leamas bewunderte.
»Sie haben uns vor ein schwieriges Problem gestellt«, bemerkte Fiedler.
»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß.«
»O nein.« Er lächelte. »O nein, das stimmt nicht. Sie haben uns nur das gesagt, was sie noch bewußt im Gedächtnis haben.«
»Sehr klug«, murmelte Leamas, schob sein Essen beiseite und zündete sich eine Zigarette an. Es war seine letzte.
»Lassen Sie jetzt mich eine Frage stellen«, schlug Fiedler mit der übertriebenen Gutmütigkeit eines Mannes vor, der ein Gesellschaftsspiel anregt. »Was würden Sie als erfahrener Nachrichtenoffizier mit der Information machen, die Sie uns gegeben haben?«
»Welche Information?«
»Mein lieber Leamas, Sie haben uns doch nur Teilinformationen geliefert. Sie haben uns von Riemeck erzählt: Wir waren über Riemeck längst im Bilde. Sie haben uns von den
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