Der Spion, der aus der Kälte kam
»Siebenzwergehaus« in Surrey beim Abendessen saß. Dort lebte der Chef mit seiner zierlichen Frau inmitten geschnitzter indischer Tischchen mit Messingplatten.
»Fiedler ist der Ministrant, der seinem Priester eines Tages das Messer in den Rücken stoßen wird. Er ist der einzige Mann, der Mundt gewachsen ist« - hier hatte Guillam genickt -, »und er haßt ihn aus tiefster Seele. Fiedler ist natürlich Jude, und Mundt ziemlich das Gegenteil. Ein denkbar schlechtes Gespann. Unsere Aufgabe war es«, erklärte er mit einem Hinweis auf Guillam und sich selbst, »dass wir Fiedler die Waffe gaben, mit der er Mundt vernichten kann. Ihre Arbeit, mein lieber Leamas, ist es nun, ihn zum Gebrauch dieser Waffe zu ermutigen. Selbstverständlich nur indirekt, weil Sie ihm nie begegnen werden. Wenigstens hoffe ich das.«
Darüber hatten sie alle gelacht, auch Guillam. Es schien damals ein guter Witz zu sein; jedenfalls gut in den Augen des Chefs.
Es mußte schon nach Mitternacht sein. Sie waren längere Zeit auf einer Schotterstraße gefahren, die zum Teil durch einen Wald und zum Teil durch offenes Gelände führte. Nun hielten sie, und einen Augenblick später war der DKW neben ihnen. Als er und Peters ausstiegen, bemerkte Leamas, dass jetzt drei Leute im zweiten Wagen saßen. Zwei von ihnen waren gerade im Begriff auszusteigen. Der dritte saß auf dem Rücksitz und sah beim Licht der Deckenlampe einige Papiere durch - eine kleine Figur; die vom Schatten halb verdeckt war.
Sie hatten in der Nähe einiger unbenutzter Ställe geparkt; das Gebäude lag zehn Meter weiter hinten. Im Scheinwerferlicht des Wagens konnte Leamas ungenau ein niedriges Bauernhaus mit Fachwerk und weißgekalkten Wänden ausnehmen. Sie stiegen aus. Der Mond war herausgekommen und schien so hell, dass sich die bewaldeten Hügel scharf gegen den blassen Nachthimmel abzeichneten. Sie gingen zum Haus, voran Peters und Leamas, während ihnen die beiden Männer folgten. Der Mann im zweiten Wagen hatte noch immer keine Anstalten gemacht auszusteigen; er blieb im Wagen und las.
An der Haustür mußten Peters und Leamas auf die herankommenden Männer warten, von denen einer einen Schlüsselbund in seiner linken Hand hielt. Während er mit den Schlüsseln hantierte, stand der andere mit den Händen in den Taschen im Hintergrund und gab ihm Deckung.
»Sie gehen kein Risiko ein«, bemerkte Leamas zu Peters. »Was denken sie, wer ich bin?«
»Sie werden nicht bezahlt, um zu denken«, erwiderte Peters. Er wandte sich an einen von ihnen und fragte auf deutsch: »Kommt er?«
Der Deutsche zuckte mit den Schultern und schaute zu den Wagen hinunter. »Er wird schon kommen«, sagte er. »Er kommt gern allein.«
Sie gingen ins Haus, der Mann führte sie. Es war wie ein Jagdhaus eingerichtet, teils alt, teils neu. Die matte Deckenbeleuchtung gab nur wenig Licht. Die Luft im Haus war muffig, so als sei es unbewohnt und nur für ihren Besuch geöffnet worden. Da und dort gab es Spuren behördlicher Verwaltung: eine Tafel mit Anweisungen für das Verhalten bei Brandgefahr, die amtliche grüne Farbe auf den Türen und schwere automatische Türschließer. In dem ganz bequem eingerichteten Wohnzimmer standen dunkle, schwere, sehr zerkratzte Möbel und die unvermeidlichen Fotografien sowjetischer Führer. Diese aus der Anonymität kommenden Eingriffe in die Atmosphäre des Hauses zeigten Leamas, wie sehr die Arbeit der »Abteilung« auch dort, wo es nicht gewollt war, vom Geist der Bürokratie durchdrungen wurde. Diese Erscheinung war Leamas schon vom Rondell her vertraut.
Peters setzte sich, und Leamas folgte seinem Beispiel. Sie warteten zehn Minuten, dann wandte sich Peters an einen der zwei Männer, die gelangweilt am anderen Ende des Raumes standen.
»Gehen Sie und sagen Sie ihm, dass wir warten. Und beschaffen Sie uns etwas zu essen, wir sind hungrig.« Als der Mann zur Tür ging, rief Peters: »Und Whisky - sagen Sie ihnen, dass sie Whisky und einige Gläser bringen sollen.« Der Mann zuckte wenig entgegenkommend mit den Achseln und ging hinaus, indem er die Tür hinter sich offenließ.
»Sind Sie schon einmal hier gewesen?« fragte Leamas.
»Ja«, sagte Peters.
»Wozu?«
»Ähnliche Unternehmungen, nicht dasselbe, aber unsere Art Arbeit eben.«
»Mit Fiedler?«
»Ja.«
»Ist er gut?«
»Für einen Juden ist er nicht schlecht«, antwortete Peters, während sich Leamas, der am anderen Ende des Raumes ein Geräusch gehört hatte, umwandte und Fiedler dort in
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