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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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-, dass Sie nichts wissen. Sie müssen die Wahrheit sagen und gehen. Das ist das Klügste, was Sie tun können.«
    Liz mußte eine Geste gemacht oder einige Worte geflüstert haben, die die anderen nicht verstehen konnten, denn die Vorsitzende beugte sich wieder vor und sagte mit großer Eindringlichkeit: »Hören Sie, Kind, wollen Sie wieder heimfahren? Tun Sie, was ich Ihnen sage, und Sie werden es. Aber wenn Sie …« Sie brach ab, wies mit der Hand auf Karden und fügte geheimnisvoll hinzu: »Dieser Genosse will Ihnen einige Fragen stellen, nicht viele. Dann können Sie gehen. Sagen Sie die Wahrheit.«
    Karden stand wieder auf und zeigte sein freundliches Lächeln, das an einen Kirchenvorstand erinnerte.
    »Elisabeth«, erkundigte er sich, »Alec Leamas war Ihr Geliebter, nicht wahr?«
    Sie nickte.
    »Sie lernten ihn in der Bibliothek in Bayswater kennen, wo Sie arbeiteten?«
    »Ja.«
    »Sie waren ihm vorher nicht begegnet?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Wir lernten uns in der Bibliothek kennen.«
    »Haben Sie viele Liebhaber gehabt, Elisabeth?«
    Ihre Antwort wurde von dem Schrei Leamas' übertönt: »Karden, Sie Schwein!«, aber Liz drehte sich um und sagte ziemlich laut: »Alec, nicht. Sie werden dich abführen.«
    »Ja«, bemerkte die Vorsitzende trocken, »das werden sie.«
    »Sagen Sie mir«, fuhr Karden geschmeidig fort, »war Alec ein Kommunist?«
    »Nein.«
    »Wußte er, dass Sie Kommunistin waren?«
    »Ja. Ich sagte es ihm.«
    »Was sagte er da, als Sie es ihm erzählten, Elisabeth?«
    Sie wußte nicht, ob sie lügen sollte, das war das Schreckliche. Die Fragen kamen so schnell, dass sie keine Gelegenheit zum Nachdenken hatte. Die ganze Zeit hörte man ihr zu, beobachtete sie, wartete auf ein Wort oder vielleicht auch nur eine Geste, die Alec schrecklichen Schaden zufügen konnte. Wie sollte sie aber lügen, wenn sie nicht wußte, warum es ging? Sie würde weiter im dunkeln tappen, und Alec würde sterben müssen - denn sie hatte keinen Zweifel daran, dass Leamas in Gefahr war.
    »Was sagte er also?« wiederholte Karden.
    »Er lachte. Er stand über all dem.«
    »Glauben Sie, dass er darüberstand?«
    »Natürlich.«
    Der junge Mann am Richtertisch sprach zum zweitenmal. Seine Augen waren halb geschlossen: »Sehen Sie das als wertvolles Urteil über ein menschliches Wesen an? Dass es über dem Gang der Geschichte und über den zwingenden Forderungen der Dialektik steht?«
    »Ich weiß nicht. Es kam mir einfach so vor, nichts weiter.«
    »Lassen wir das«, sagte Karden. »Sagen Sie mir, ob er ein glücklicher Mensch war, viel lachte und so weiter?«
    »Nein. Er lachte nicht oft.«
    »Aber er lachte, als Sie ihm sagten, dass Sie in der Partei waren. Wissen Sie, warum?«
    »Ich glaube, er verachtete die Partei.«
    »Meinen Sie, dass er sie haßte?« fragte Karden nebenbei.
    »Ich weiß nicht«, antwortete Liz verschüchtert.
    »War er ein Mann mit starken Neigungen oder Abneigungen?«
    »Nein … nein, das war er nicht.«
    »Aber er hat einen Kaufmann angegriffen. Warum wohl tat er das?«
    Liz hatte plötzlich kein Vertrauen mehr zu Karden. Sie traute der schmeichelnden Stimme und dem gütigen Engelsgesicht nicht.
    »Ich weiß nicht.«
    »Aber Sie haben darüber nachgedacht.«
    »Ja.«
    »Nun, zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?«
    »Zu keinem«, sagte Liz einfach. Karden schaute sie nachdenklich, vielleicht auch ein wenig enttäuscht an, so als habe sie ihren Katechismus nicht gelernt.
    »Wußten Sie vorher, dass Leamas den Kaufmann schlagen würde?«
    »Nein«, erwiderte Liz. Ihre Antwort kam etwas zu schnell, so dass Kardens Lächeln in der nun folgenden Pause einer Miene belustigter Neugier Platz machte. Schließlich fragte er: »Wann haben Sie Leamas vor der heutigen Begegnung zum letztenmal gesehen?«
    »Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit er ins Gefängnis ging«, antwortete Liz.
    »Wann sahen Sie ihn also zuletzt?« - Die Stimme war liebenswürdig, aber beharrlich. dass Liz dem Saal ihren Rücken zukehren mußte, war ihr sehr unangenehm. Am liebsten hätte sie sich umgewandt, um Leamas sehen zu können. Vielleicht hätte sie in seinem Gesicht einen Hinweis oder irgendein Zeichen entdeckt, das ihr sagte, wie sie antworten sollte. Auch begann sie sich nun zu fürchten - diese Fragen wurzelten in Anklagen und Verdächtigungen, von denen sie keine Ahnung hatte. Die Leute mußten doch wissen, dass sie Alec zu helfen wünschte und dass sie selbst Angst hatte, aber niemand unterstützte sie. Warum

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