Der Spion, der aus der Kälte kam
irgendein Fieber. Ich hatte eine Woche lang kaum etwas gegessen. Ich glaube, dass mich das auch nervös machte, das Faß zum Überlaufen brachte.«
»Man schuldete Ihnen natürlich noch Geld bei der Bibliothek, nicht wahr?«
»Woher wissen Sie das?« fragte Leamas scharf. »Sind Sie -«
»Warum sind Sie nicht hingegangen und haben es geholt? Sie hätten dann nicht um Kredit bitten müssen, Leamas, nicht wahr?«
Leamas zuckte die Achseln: »Ich habe es vergessen. Wahrscheinlich, weil die Bibliothek am Samstagmorgen geschlossen war.«
»Ich verstehe. Sind Sie sicher, dass die Bibliothek am Samstagmorgen immer geschlossen ist?«
»Nein. Das ist nur eine Vermutung.«
»Ganz recht. Danke, das war alles, was ich fragen wollte.«
Leamas war dabei, sich zu setzen, als die Tür aufging und eine Frau hereinkam. Sie war groß und häßlich und trug einen grauen Overall, auf dessen einem Ärmel ein Unteroffizierswinkel aufgenäht war.
Hinter ihr stand Liz.
22DIE VORSITZENDE
Sie betrat den Gerichtssaal langsam und schaute sich mit weit offenen Augen um, wie ein halbwaches Kind, das einen hellerleuchteten Raum betritt. Leamas hatte vergessen, wie jung sie war. Als sie ihn zwischen zwei Wachen sitzen sah, blieb sie stehen.
»Alec.«
Der Posten neben ihr legte seine Hand auf ihren Arm und geleitete sie zu der Stelle, wo Leamas gestanden hatte. Es war sehr still im Saal.
»Wie ist Ihr Name, Kind?« fragte die Vorsitzende sachlich. Liz schwieg. Ihre Arme mit den langen Händen und gestreckten Fingern hingen hilflos an ihrem Körper herunter.
»Wie ist Ihr Name?« wiederholte die Vorsitzende, diesmal lauter.
»Elisabeth Gold.«
»Sie sind Mitglied der britischen Kommunistischen Partei?«
»Ja.«
»Und Sie haben sich in Leipzig aufgehalten?«
»Ja.«
»Wann sind Sie der Partei beigetreten?«
»1955. Nein - 1954 - glaube ich, war es -«
Sie wurde durch den Lärm einer Bewegung im Raum unterbrochen. Stühle wurden zur Seite gestoßen, und Leamas' Stimme füllte heiser und hoch und häßlich den Raum: »Ihr Saukerle! Laßt sie in Ruhe!«
Liz drehte sich angsterfüllt um und sah ihn dort mit blutendem weißem Gesicht stehen, ein Posten versetzte ihm einen Faustschlag, so dass er beinahe fiel, dann waren sie beide über ihm, rissen ihn hoch, indem sie seine Arme hinter dem Rücken nach oben stießen. Sein Kopf fiel nach vorn auf die Brust und dann vor Schmerz auf die Seite.
»Schaffen Sie ihn hinaus, wenn er sich wieder rührt«, ordnete die Vorsitzende an, wobei sie Leamas warnend zunickte und ergänzte: »Sie können dann später sprechen, wenn Sie wollen.« Sie wandte sich wieder an Liz und sagte in scharfem Ton: »Sicher können Sie angeben, wann Sie der Partei beigetreten sind?«
Liz sagte nichts, und die Vorsitzende zuckte mit den Achseln, nachdem sie einen Moment gewartet hatte. Dann lehnte sie sich vor, um ihrer Frage mehr Eindringlichkeit zu verleihen: »Elisabeth Gold, sind Sie je in der Partei über die Notwendigkeit der Verschwiegenheit belehrt worden?«
Liz nickte.
»Und es ist Ihnen gesagt worden, niemals einen anderen Genossen nach Organisation und Einrichtungen der Partei zu fragen?«
Liz nickte wieder. »Ja«, sagte sie, »natürlich.«
»Heute werden Sie eine ernste Bewährungsprobe ablegen müssen, ob Sie sich dieser Parteiregel aufrichtig unterwerfen. Es ist besser für Sie, viel besser, dass Sie nichts wissen - nichts«, fügte sie mit plötzlichem Nachdruck hinzu. »Lassen wir es mit folgendem genügen: Wir drei an diesem Tisch nehmen eine sehr hohe Stellung in der Partei ein. Wir handeln mit Wissen unseres Präsidiums, im Interesse der Parteisicherheit. Wir müssen Ihnen einige Fragen stellen, und Ihre Antworten sind von größter Bedeutung. Durch wahrheitsgemäße und mutige Antworten können Sie der Sache des Sozialismus dienen.«
»Aber wer«, flüsterte Liz, »wer steht hier vor Gericht? Was hat Alec getan?«
Die Vorsitzende sah an ihr vorbei auf Mundt und sagte: »Vielleicht steht hier niemand vor Gericht. Das ist der springende Punkt. Vielleicht nur die Ankläger.« Sie setzte hinzu: »Es ist belanglos, wer angeklagt ist. dass Sie es nicht wissen können, garantiert uns Ihre Unparteilichkeit.«
In dem kleinen Raum breitete sich Stille aus, und dann fragte Liz mit so leiser Stimme, dass die Vorsitzende instinktiv den Kopf wandte, um ihre Worte verstehen zu können: »Ist es Alec? Ist es Leamas?«
»Ich sage Ihnen«, beharrte die Vorsitzende, »es ist besser für Sie - viel besser
Weitere Kostenlose Bücher