Der Spion, der aus der Kälte kam
die Geldzahlungen an ausländische Banken und ihre Abhebung zu einem Zeitpunkt, zu dem Mundt gerade in dem betreffenden Land war, ferner das beiläufig geäußerte und nur auf Redereien beruhende Zeugnis von Peter Guillam sowie das geheime Treffen zwischen dem Chef und Riemeck, bei dem Dinge besprochen wurden, die Leamas nicht hören konnte: Dies alles läßt sich zu einer scheinbaren Beweiskette zusammenfügen - eine Versuchung, der Genosse Fiedler nach der richtigen Spekulation der Engländer seines brennenden Ehrgeizes wegen nicht widerstehen konnte. Er ist dadurch zum Handlanger einer schändlichen Verschwörung geworden, durch deren Hilfe einer der wachsamsten Verteidiger unserer Republik vernichtet werden soll. Besser sagte man ermordet, denn Mundt ist jetzt in Gefahr, sein Leben zu verlieren.
Paßt es nicht genau in die Liste ihrer früher begangenen Sabotageakte, umstürzlerischer Umtriebe und Menschenschacherei, dass die Engländer dieses verzweifelte Komplott ersonnen haben? Welch anderer Weg war ihnen offen, nachdem der Wall quer durch Berlin gelegt und der Zufluß westlicher Spione eingedämmt worden ist? Wir sind ihnen ins Garn gegangen. Bestenfalls hat sich Genosse Fiedler eines äußerst schwerwiegenden Fehlers schuldig gemacht. Schlimmstenfalls hat er wissentlich vor der Unterminierung unserer Staatssicherheit durch imperialistische Agenten und vor der geplanten Vergießung unschuldigen Blutes seine Augen geschlossen!
Wir haben auch einen Zeugen.« Er nickte dem Gericht freundlich zu. »Ja. Auch wir haben einen Zeugen. Denn Sie dürfen nicht glauben, dass Genosse Mundt die ganze Zeit in Unkenntnis von Fiedlers fieberhafter Verschwörertätigkeit gewesen sei. Sollten Sie das wirklich glauben? Schon vor Monaten hat Genosse Mundt die Krankheit in Fiedlers Geist erkannt. Genosse Mundt selbst war es, der die Aufnahme einer Verbindung zu Leamas in England genehmigte. Glauben Sie, er hätte dieses Risiko auf sich genommen, wenn er befürchten mußte, selbst in die Sache verwickelt zu werden? Und meinen Sie, Genosse Mundt habe die Berichte über Leamas' erstes Verhör in Den Haag ungelesen weggeworfen? Nachdem Leamas in unserem eigenen Land eingetroffen war und Fiedler das Verhör übernommen hatte, blieben plötzlich die Berichte aus: Glauben Sie, Genosse Mundt sei so beschränkt gewesen, nicht einmal jetzt zu erkennen, was Fiedler ausheckte? Als die ersten Berichte von Peters aus Den Haag eintrafen, erkannte Mundt doch schon an den Terminen, zu denen Leamas nach Kopenhagen und Helsinki gefahren war, dass das Ganze eine Falle war, um ihn selbst in Mißkredit zu bringen. Diese Daten stimmten in der Tat mit Mundts Besuchen in Dänemark und Finnland überein: Sie waren von London eben gerade aus diesem Grund ausgewählt worden. Mundt hatte von diesen sogenannten ›frühen Hinweisen‹ ebenso Kenntnis wie Fiedler selbst - behalten Sie das, bitte, im Auge. Auch Mundt war auf der Suche nach einem Spion in den Reihen der ›Abteilung‹ …
Aus diesen Gründen beobachtete Mundt fasziniert, wie Leamas nach seiner Ankunft in der DDR Fiedlers Verdacht mit Andeutungen und versteckten Hinweisen schürte. Nie zu sehr, verstehen Sie, nie überbetont, aber hie und da streute er es mit heimtückischer Sicherheit ein. Und dann war der Boden vorbereitet: der Mann im Libanon und die geheimnisvolle Geldgeschichte, auf die sich Fiedler bezieht, weil beides die Anwesenheit eines hochgestellten Spions innerhalb der ›Abteilung‹ zu bestätigen scheint.
Es war wundervoll inszeniert. Es hätte die Niederlage, die die Engländer durch den Verlust Karl Riemecks erlitten hatten, in einen bemerkenswerten Sieg umwandeln können - und kann es immer noch tun.
Genosse Mundt traf eine Vorsichtsmaßnahme, während die Engländer mit Fiedlers Hilfe seine Ermordung planten.
Er veranlaßte, dass gewissenhafte Nachforschungen in London angestellt wurden. Er untersuchte jede winzige Einzelheit jenes Doppellebens, das Leamas in Bayswater geführt hatte. Er hielt Ausschau, sehen Sie, nach einem menschlichen Fehler in einer Planung von fast übermenschlicher Hinterlist. Irgendwo, dachte er, mußte Leamas auf seiner langen Reise durch die Wildnis das Gelübde der Armut, der Trunksucht, des Verfalls und vor allem der Einsamkeit gebrochen haben. Er hatte vielleicht einen Gefährten gebraucht, vielleicht eine Geliebte. Er mußte sich nach der Wärme eines menschlichen Kontaktes gesehnt haben. Der andere Teil seiner Seele mußte ihn dazu
Weitere Kostenlose Bücher