Der Spion, der aus der Kälte kam
Mädchen herbringen könnten. Ich bin ein großer Esel gewesen.«
»Aber Mundt nicht«, warf Fiedler schnell ein. »Mundt wußte sehr wohl, wonach er zu suchen hatte. Und er wußte sogar, dass von diesem Mädchen der Beweis kommen würde - sehr schlau, muß ich sagen. Er hat sogar von diesem Mietvertrag gewußt - wirklich höchst erstaunlich. Wie hat er das überhaupt herausfinden können, frage ich mich. Das Mädchen hat es bestimmt niemandem erzählt. Ich kenne sie: sie hätte davon mit keinem Menschen gesprochen.«
Er sah Mundt an. »Vielleicht kann Mundt uns erklären, woher er das alles wußte?«
Mundt zögerte. Eine Sekunde zu lang, dachte Leamas.
»Es war ihr Mitgliedsbeitrag«, sagte er. »Vor einem Monat hat sie ihren Parteibeitrag um monatlich zehn Shilling erhöht. Ich hörte davon und wunderte mich, wieso sie sich das leisten konnte. Ich habe versucht, das herauszufinden - mit Erfolg.«
»Eine meisterhafte Erklärung«, erwiderte Fiedler kühl.
Stille.
Die Vorsitzende sah ihre beiden Kollegen an und sagte: »Ich denke, das Gericht ist jetzt in der Lage, dem Präsidium seinen Bericht zu erstatten.« Während sie ihre kleinen, grausamen Augen zu Fiedler wandte, fügte sie hinzu: »Es sei denn, Sie hätten noch etwas zu sagen.«
Fiedler schüttelte den Kopf. Trotz allem schien er noch immer belustigt.
»In diesem Fall«, fuhr die Vorsitzende fort, »sind meine Kollegen der Ansicht, dass Genosse Fiedler von seinen Pflichten entbunden werden sollte, bis der Disziplinarausschuß des Präsidiums seine Sache erwogen hat.
Leamas ist bereits in Haft. Ich möchte Sie alle darauf hinweisen, dass das Gericht keine Exekutivgewalt hat. Zweifellos wird der Staatsanwalt gemeinsam mit dem Genossen Mundt prüfen, welche Maßnahmen gegen einen britischen Agenten, Provokateur und Mörder zu ergreifen sind.«
Sie sah an Leamas vorbei zu Mundt. Aber Mundt betrachtete Fiedler. In seinem Blick lag das Interesse eines Henkers, der an seinem Opfer Maß für den Strick nimmt.
Und plötzlich, mit der gespenstischen Klarsicht eines Mannes, der allzulange getäuscht worden war, durchschaute Leamas den ganzen grausigen Trick.
24GENOSSIN KOMMISSAR
Liz stand mit dem Rücken zur Wärterin am Fenster und starrte ausdruckslos in den kleinen Hof hinunter. Sie nahm an, dass man dort die Gefangenen spazierengehen ließ. Es war ein Büroraum, in dem sie sich aufhielt, und auf dem Schreibtisch stand neben dem Telefon ein Teller mit Essen, aber sie konnte nichts anrühren. Sie fühlte sich krank und war sehr müde. Die Beine taten ihr weh, ihr Gesicht war vom Weinen verschwollen und wund. Sie fühlte sich schmutzig und sehnte sich nach einem Bad.
»Warum essen Sie nicht?« fragte die Frau wieder. »Es ist doch schon alles vorüber.« Sie sagte das ohne Mitgefühl. Für sie war das Mädchen verrückt, wenn es nicht essen wollte, solange etwas zu essen da war.
»Ich bin nicht hungrig.«
Die Wärterin zuckte die Schultern. »Sie werden vielleicht eine lange Fahrt haben«, bemerkte sie, »und am anderen Ende wird auch nicht viel sein.«
»Wie meinen Sie das?«
»Die Arbeiter in England hungern doch«, erklärte sie selbstgefällig. »Die Kapitalisten lassen sie hungern.«
Liz wollte etwas sagen, aber es hatte keinen Sinn. Außerdem wollte sie etwas wissen. Sie mußte etwas erfahren, und diese Frau konnte es ihr sagen.
»Was ist das hier für ein Gebäude?«
»Das wissen Sie nicht?« Die Wärterin lachte. »Dann fragen sie die dort drüben.« Sie nickte gegen das Fenster hin. »Die können Ihnen sagen, was es ist.«
»Was sind das für Leute?«
»Gefangene.«
»Was für Gefangene?«
»Staatsfeinde«, erwiderte sie prompt. »Spione, Agitatoren.«
»Woher wissen Sie, dass es Spione sind?« »Die Partei weiß so etwas. Die Partei weiß über jeden Menschen mehr als er selbst. Hat man Ihnen das nie gesagt?« Die Wärterin sah sie an, schüttelte den Kopf und bemerkte: »Diese Engländer! Die Reichen haben eure Zukunft gegessen und eure Armen haben ihnen das Essen gegeben - so ist es in England gewesen.«
»Wer hat Ihnen denn das erzählt?«
Die Frau lächelte und sagte nichts. Sie schien mit sich selbst zufrieden zu sein.
»Und das ist ein Gefängnis für Spione?« fragte Liz hartnäckig.
»Es ist ein Gefängnis für Leute, die die sozialistische Wirklichkeit nicht erkennen wollen, die ein Recht auf Irrtum zu haben glauben, die den Aufbau verzögern. Eben Verräter«, schloß sie kurz.
»Aber was haben sie getan?«
»Wir
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