Der Spion der Fugger Historischer Roman
dass die Anwesenheit dieses Mannes, der mit seinem Prinzipal zwar nicht auf gutem, so doch auf vertrautem Fuße stand, ein Zufall war. Aber war Walsingham Freund oder Feind? Sachs vermochte es wieder einmal nicht zu sagen.
Ohne ein weiteres Wort setzte er sich auf den Stuhl, auf dem er auch bei seinem letzten Besuch auf der
Falcon
gesessen hatte, und beobachtete die beiden Engländer, die sich keines Blickes würdigten. Walsingham schien die Anwesenheit jeder anderen Person in der Kajüte vergessen zu haben und starrte auf die Speisen vor sich. Endlich nahm er seinen gefüllten Zinnbecher und trank ihn in einem Zug leer, ehe er sich Sachs zuwandte.
»Meister Hohensax, entschuldigt meine Unaufmerksamkeit. Schwierige Zeiten sind angebrochen. Aber ich freue mich, Euch wohlbehalten zu sehen, wenn auch leider unter widrigen Umständen. Wie geht es Euch?«
Der Fugger-Agent sah von Walsingham zu Drake und wieder zurück. Der Konflikt der beiden Männer hatte mit ihm zu tun, vermutete Sachs. Nach dem, was Drake ihm vor einer Woche – vor seine Abreise – erzählt hatte, stand er mit seiner Aktion, ihn und die anderen auf so spektakuläre und riskante Weise zu entführen, alleine da. Walsingham repräsentierte damit wohl das offizielle England, dass das Wissen über seine wahre Stärke und seemännische Macht noch eine Weile unter Verschluss halten und ganz sicher nichts darüber verlauten lassen wollte, wer das Gold der Mexikaner an sich gebracht hatte.
Amman Sachs nickte bedächtig. »Wir werden gut behandelt. Nur den Frauen setzt die Gefangenschaft sehr zu.« Er machte eine Pause. »Was ist Eure Aufgabe hier, Walsingham? Was wollt Ihr von mir? Ihr seid doch wegen mir hier?« Wieder wanderten die Blicke des Schweizers zwischen Walsingham und dem am Fenster stehenden Drake hin und her.
Bevor der Angesprochene antworten konnte, drehte sich der Kapitän auf dem Absatz um und verließ ohne ein Wort und ohne einen Blick auf die anderen Männer seine Kajüte, wobei er die Tür krachend hinter sich zuschlug. Sachs’ Verwunderung, was sich vor seiner Ankunft in diesem Raum ereignet haben musste, wuchs.
Walsingham reagierte mit einem ironischen Lächeln auf die Szene. »Er ist ein brillanter Seefahrer und ein begnadeter Stratege. Wenn er auch noch seinen maßlosen Stolz in den Griff bekommt, kann er ein ganz Großer werden. Ja, Hohensax, ich bin wegen Euch hier. Um mich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass Ihr noch am Leben seid. Ihr erinnert Euch? Wir haben eine Abmachung getroffen. Und ich für meinen Teil stehe zu meiner Verpflichtung, die ich Euch gegenüber eingegangen bin. Ihr seid für mich wertvoller, wenn Ihr lebt, als wenn Ihr tot seid. Das musste auch unser gemeinsamer Freund Drake soeben erfahren, dem ein Menschenleben nur so lange etwas wert ist, wie es ihm und seinem Ruhm nutzt. Ein tüchtiger Mann, aber auch gefährlich, wie Ihr sicher schon gemerkt habt.«
Sachs überkam bei Walsinghams Worten ein ungutes Gefühl. Einerseits schien es ein Strohhalm der Hoffnung zu sein, an den er sich klammern konnte – ein Mann, dem er vielleicht vertrauen konnte. Doch auch Walsingham hatte zweifellos seine ganz eigenen Interessen, die er rücksichtslos verfolgte. Aber vielleicht war es tatsächlich so, dass ihrer beider Fluss zumindest derzeit in die gleiche Richtung strömte – sie also gleiche Ziele verfolgten, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen, so viel stand fest. Doch Amman Sachs begriff die neuerliche Wendung der Dinge noch nicht. Was bedeuteten Walsingshams Eingreifen und seine Anwesenheit hier auf der
Falcon?
Der Engländer fuhr fort: »Ich kann mir denken, was Drake Euch an düsteren Enthüllungen bereits vor meiner Ankunft offenbart hat. Doch egal, was er von den Rosenobeln gesagt hat, es ist auf jeden Fall nur die halbe Wahrheit des Ränkespiels – das kann ich mit Gewissheit sagen, weil es nicht in Drakes Interesse ist, Euch die ganze Geschichte zu erzählen. Und auch nicht im Interesse Englands, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Aber ich gab Euch mein Wort. Und nun hoffe ich auf das Eure, falls Ihr es eines Tages seid, der über mein Leben zu wachen hat.«
Sachs hatte Lüge und Falschheit in den Augen des anderen gesucht, aber nicht entdeckt. »Worauf wollt Ihr hinaus, Walsingham? Welchen Teil der Wahrheit kenne ich noch nicht?«
Die Stille in der Kapitänskajüte der
Falcon
war nun mit den Händen zu greifen. Walsingham brach sich schließlich ein großes Stück Brot ab und nahm
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