Der Sprung ins Jenseits
saß ich in meinem Sessel. Die Hand meiner Frau lag auf der meinen. Ihre Wärme tat mir gut. Ich fror noch immer. Mehr als einmal wäre ich am liebsten aufgesprungen und hätte gerufen: Falsch! Das ist falsch! Aber ich blieb sitzen.
Als der Vorhang fiel und das Licht aufflammte, erhob ich mich mechanisch und ging hinter meiner Frau her. Sie, tief beeindruckt von der Handlung, schwieg. Ich schwieg ebenfalls. Aber nicht, weil mich die Handlung so beeindruckt hatte. Es war die gewaltige Lüge, die der Film uns aufgetischt hatte. Nicht nur der Film, sondern auch die Geschichte.
Die Quader, die man durch die Wüste transportiert hatte, hatten niemals auf Holzrollen geruht. Es war nicht nötig gewesen. Die riesigen Steinbrocken waren federleicht gewesen. Ein oder zwei Mann hätten sie heben können.
Fast wäre ich über die Stufen gestolpert, aber meine Frau hielt mich fest.
»Was ist denn mit dir?«
»Das grelle Licht. Meine Augen müssen sich erst wieder daran gewöhnen.«
Ich log, um meine Verwirrung zu verbergen. Ich winkte einem Taxi. Bei der Heimfahrt sprachen wir kaum ein Wort. Ich genoß die Viertelstunde des Alleinseins im Bad. Obwohl ich fror, tat mir das kalte Wasser gut. Aus dem Spiegel blickte mir ein fast fremdes Gesicht entgegen. Ich, der sonst immer recht blaß war, hatte rote Flecken auf den Wangen. In den Augen brannte ein seltsames Feuer.
Dieser Film! Dieser verdammte Film!
Als wir im Bett lagen, fragte meine Frau:
»Der Film hat dir wohl nicht gefallen?«
»Natürlich hat er mir gefallen. Er war sogar ausgezeichnet. Warum?«
»Du hast bis jetzt kein einziges Wort darüber gesprochen. Entweder gefiel er dir so gut, daß du keine Worte findest, oder er war deiner Meinung nach so schlecht, daß du sprachlos bist. Was ist nun der Fall?«
Ich drehte mich zu ihr. Wir waren erst ein halbes Jahr verheiratet – sehr glücklich verheiratet. Das lag zum größten Teil daran, daß wir keine Geheimnisse voreinander hatten. Plötzlich spürte ich, daß ein Geheimnis da war. Es war wie ein Schatten, der zwischen uns aufgetaucht war.
»Glaubst du an Seelenwanderung?« fragte ich sie. Sie sah mich erstaunt an.
»Ich möchte wissen, was das mit den alten Ägyptern zu tun hat? Mach bitte das Licht aus. Ich bin müde.«
Ich legte mich wieder zurück und löschte das Licht. Die Dunkelheit legte sich schützend um mich.
»Es hat sehr viel mit den alten Ägyptern zu tun. Beantworte bitte meine Frage. Glaubst du, daß wir nach unserem Tod weiterleben werden?«
Sie gab einen ärgerlichen Laut von sich.
»Warum fragst du mich das ausgerechnet jetzt? Kurz vor dem Einschlafen? Du weißt doch, daß ich dann davon träume.«
»Du hast mich gefragt, was ich von dem Film halte, und da …«
»Dann sprich auch von dem Film, nicht aber von Tod und ähnlichen Dingen. Oder erkläre mir wenigstens den Zusammenhang.«
Ich zögerte. Sollte ich ihr von Dingen erzählen, die ich selbst nicht begriff? Konnte sie mir einen Rat geben, irgendwelche Fragen beantworten? Ich wußte es nicht. Aber sie war meine Frau, und ich vertraute ihr. Ich wollte den Schatten wieder wegschieben, der sich zwischen uns zu stellen drohte.
»Erinnerst du dich an die Szene, bei der ein Aufseher immer wieder mit der Peitsche auf die Sklaven einschlug, um sie zu neuen Leistungen anzutreiben? Erinnerst du dich an die gewaltigen Steinquader, die man mit Rollen und Stangen durch die Wüsten schleppte? Das alles ist nicht wahr! Es ist eine Fälschung. Die Steinquader waren damals ganz leicht. Mühelos schwebten sie durch die Luft. Man brauchte sie nur mit der Hand zu dirigieren. Und was jene Aufseher angeht, so weiß ich genau, daß sie keine Peitschen hatten. Die Sklaven wurden nicht geschlagen. Denn ihre Arbeit war leicht. Wenn genügend Zeit zur Verfügung gestanden hätte, hätte die Pyramide von zehn Menschen erbaut werden können.«
Meine Frau streckte sich neben mir.
»Woher willst du das wissen? Hast du mir nicht selbst einmal von der Fronarbeit erzählt, die jene Menschen geleistet haben müssen, als sie die Pyramiden erbauten? Du kannst doch nicht auf einmal deine Meinung ändern?«
»Ich habe sie erst heute abend geändert. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Aber es gibt keine Zweifel. Der Film hat irgend etwas in mir geweckt, das bisher nur schlummerte. Eine Art Erinnerung.«
»Eine Erinnerung? Eine Erinnerung woran?«
»An jene Zeit, die ich vergessen hatte. Dieser Sklavenaufseher mit der Peitsche – er hatte niemals eine
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