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Der Stalker

Der Stalker

Titel: Der Stalker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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fest wie möglich zu. Presste alles Leben aus ihm heraus.
    Er kannte Kollegen, die nicht gezögert hätten, daraus Kapital zu schlagen. Sie hätten sich vom Arzt ein Attest ausstellen und sich unter Berufung auf die Gewerkschaft unbefristet krankschreiben lassen. Aber Phil war anders. Auf dem Revier wusste niemand, dass er an Panikattacken litt. Er zog es vor, allein damit klarzukommen.
    Außerdem hatte er seit Monaten keinen Anfall mehr gehabt. Nicht seit …
    Nicht seit er und Marina in das neue Haus gezogen waren. Nicht seit er Vater geworden war.
    Trotzdem spürte er immer wieder in seinem Körper nach. Wappnete sich für den Moment, in dem die Anfälle zurückkommen würden. Denn es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendetwas tief in seinem Innern den geheimen Auslöser aktivieren und die eiserne Faust ihn erneut packen würde.
    Aber nicht heute. Und nicht jetzt. Oder zumindest noch nicht.
    Nick Lines, der Rechtsmediziner, war bereits mit der Untersuchung der Leiche beschäftigt. »Ich drehe sie jetzt um!«, rief er Phil zu. »Wollen Sie zuschauen?«
    Phil eilte über den Steg zurück aufs Schiff.
    Nick Lines wirkte nur unwesentlich lebendiger als die Leichen, mit denen er tagtäglich zu tun hatte. Er hatte sich seines Papieroveralls bereits wieder entledigt, und darunter trug er trotz der Hitze einen Dreiteiler mit Weste, spitze Schuhe und eine Krawatte, die er allerdings gelockert hatte. Er war groß, dürr und kahl. Seine Brille, die ihm vorn auf der Nasenspitze hing, hätte bei einer anderen Person vielleicht modisch ausgesehen. Wie üblich hatte er eine Miene aufgesetzt, die ihn zum idealen Kandidaten für einen Job als Totenkläger gemacht hätte. Oder für die Rolle des unheimlichen Alten in einem Horrorfilm, der arglose Teenager warnt, im Wald ja nicht den Pfad zu verlassen. Doch hinter dieser Miene, das wusste Phil aus jahrelanger Zusammenarbeit, verbargen sich ein messerscharfer Verstand und ein noch schärferer – und trockener – Humor.
    Nick drehte die Leiche mit Hilfe eines Kriminaltechnikers auf die Seite.
    »Oh Mann …«, entfuhr es diesem unwillkürlich.
    »Hmm …« Nick verbarg jegliche Gefühlsregung hinter einer Fassade wissenschaftlicher Neugier. Vielleicht war es auch keine Fassade.
    Phil zeigte auf den Rücken der Toten. »Sind das … Löcher? Von Haken?«
    Nick betrachtete die Stelle unterhalb der Schulterblätter. Dort waren zwei große Wunden zu sehen, wo sich etwas Scharfes in ihr Fleisch gebohrt hatte.
    »Sieht ganz so aus. Und so, wie das Gewebe gerissen ist, muss der Täter sie aufgehängt haben, um sie zu foltern.«
    »Meine Güte.« Phil spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Gefühle wirbelten wild in ihm durcheinander. Wut über das Geschehene. Abscheu. Traurigkeit. Und eine sengende Flamme ganz tief in seinen Eingeweiden. Er wollte den Menschen, der das getan hatte, um jeden Preis zur Strecke bringen. Er richtete sich auf und trat von der Leiche weg. »Also, was für Anhaltspunkte gibt es bis jetzt, Nick?«
    Auch Nick erhob sich. »Nicht viele. Weiblich, Mitte zwanzig. Folter, Verstümmelung der Genitalien, Mord.«
    »In der Reihenfolge?«
    Lines sah auf die Leiche hinab. »Da kann ich vorerst nur spekulieren. Aber wenn ich eine Vermutung äußern sollte, dann würde ich auf der Grundlage der Blutmenge und der Leichenflecken sagen, dass die Verstümmelung der Genitalien post mortem erfolgt ist.«
    Mickey Philips und Rose Martin kamen wieder an Bord. Rose hatte ein aufgeschlagenes Notizbuch in der Hand.
    »Sie halten sich besser ein bisschen abseits, Mickey«, riet Phil. »Für den Fall, dass es Ihnen wieder hochkommt.«
    Mickey sah aus, als wolle er protestieren, doch dann warf er einen kurzen Blick auf die Leiche und gehorchte.
    »Todesursache?«, fragte Rose mit ausdruckslosem Gesicht.
    Nick zuckte die Achseln. »Suchen Sie sich was aus. Messerstiche, Schläge mit einer Kette. Hier hat jemand ganze Arbeit geleistet.« Er seufzte. Und zum ersten Mal an diesem Tag war Nick, der ansonsten kaum zu erschüttern war, echte Besorgnis anzumerken. »So wie es aussieht, wurde ein ganzes Arsenal an Waffen verwendet.«
    Phil schwieg. Er konnte sich vorstellen, was damit gemeint war: Hammer, Nägel, Rasierklingen. Julie Miller – wenn sie es denn war – hatte keinen leichten Tod gehabt.
    Phil schluckte. »Todeszeitpunkt?«
    Nick blickte zum Himmel, dann zurück zu Phil. Es war eine Geste, die den Anschein erwecken sollte, als denke er über die Frage nach, in

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