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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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glitzernden Reflexe auf dem Bosporus hinterließen glühende Streifen auf der Netzhaut.
    »Bereuen Sie etwas?« fragte er.
    Obwohl er in diesem Augenblick das deutliche Gefühl hatte, in sein Verderben zu laufen, ging er plötzlich aufs Ganze, wie von einem Taumel erfaßt.
    »Wir müssen uns wiedersehen. Ich muß ernsthaft mit Ihnen reden.«
    Sie blickte erstaunt auf.
    »Ich habe Ihnen sehr viel zu sagen … Ich möchte nicht, daß Sie glauben, ich …«
    Er fand nicht die richtigen Worte. Das Schiff, das sie aufnehmen sollte, bewegte sich mehrere Kilometer von ihnen entfernt vor kristallklarem Horizont.
    »Vorhin eben – da habe ich mich nicht einfach hinreißen lassen … Verstehen Sie? … Es ist so lange her, daß …«
    »Aber Nouchi?« unterbrach sie ihn mit ruhiger Stimme.
    »Nouchi zählt nicht, das wissen Sie doch! Sie ist ein hübsches Weibchen …«
    Er schämte sich vor sich selbst, aber er konnte nicht anders, er mußte sie herabsetzen und sich an ihr rächen für die Peinlichkeit der Situation und die verpatzte Gelegenheit. Und sie war endgültig verpatzt, denn Leyla war jetzt zu ruhig.
    »Ich habe Ihnen wirklich sehr, sehr viel zu sagen … Wann kann ich Sie wiedersehen?«
    »Ich weiß nicht … Ich sage es Ihnen später … Wir haben ja Zeit …«
    Sie hatten eine ganze Stunde Zeit auf dem Schiff, umgeben von anderen Passagieren. Sie verbrachten sie schweigend. Jonsac stierte trübsinnig aufs Wasser und bemühte sich, sein Gesicht wieder unter Kontrolle zu bringen.
    »Sie haben mir nicht geantwortet.«
    »Ich denke an Nouchi«, entgegnete sie.
    »Ich habe Ihnen gesagt …«
    »Ich weiß!«
    Das Schiff hielt unweit des Landhauses der Pastore. Leyla erhob sich abrupt und streckte ihm kameradschaftlich die Hand hin.
    »Vielleicht esse ich morgen mit Ihnen bei Avrenos«, beschloß sie.
    Er hätte sie lieber woanders getroffen, doch er getraute sich nicht, es zu sagen. Als er die Bar des › Pera Palas ‹ betrat, um nach einer Nachricht von Nouchi zu fragen, saß diese selbst da. Neben ihr saß Amar Paşa, der aufstand und ihn begrüßte.
    Nouchis Augen lachten, und ihr Stupsnäschen deutete an, daß sie einen guten Tag hatte.
    »Wir haben den Plan schon fast fertig ausgearbeitet!« verkündete sie. »Unser Freund Amar wird dir ihn gleich darlegen. Du mußt bloß noch den Direktor der Ottomanischen Bank überzeugen …«
    »Einen Raki!« rief Jonsac zum Barmann hinüber.
    Er war unterwegs bei einem Optiker gewesen und hatte ein neues Monokel erstanden, was ihm seine Selbstsicherheit zurückgab.
    »Leyla hat dich anscheinend bei Avrenos besucht?«
    »Wer hat dir das gesagt?«
    »Hier weiß doch jeder alles. Avrenos hat es Uzun erzählt, dem ich vorhin in Pera begegnet bin, und der hat es mir brühwarm weitererzählt. Hat’s geklappt?«
    Sie lachte und spielte mit einer Halskette, die er zum ersten Mal an ihr sah.
    »Schiefgelaufen?«
    Er gab keine Antwort, doch gleich darauf zwickte sie ihn unter dem Tisch grausam in den Schenkel.

8
    Es grenzte jetzt schon an Trunksucht und schleichende Vergiftung. Als er am Morgen lustlos und angeekelt aufstand und zudem unangenehm die Beine spürte, weil er die halbe Nacht in Pera und Stambul herumgezogen war, nahm Jonsac sich vor:
    »Heute werde ich weder Müfti Bey noch Selim, noch Uzun, noch Tevfik treffen … Ich werde nicht bei Avrenos essen, und ich werde keinen Fuß in die Bar des › Pera Palas‹ setzen …«
    Das nahm er sich seit Jahren vor, und wie ein halbherzig bekehrter Trinker sich schon am Nachmittag ein Gläschen genehmigt, so geriet er wie zufällig in die Grande Rue, wo er sicher sein konnte, daß ihm der eine oder andere Kumpan über den Weg laufen würde.
    Es begann wieder das keyif, wie es die Türken nennen: Man schlendert durch die Straßen und läßt sich von Laune und Zufall leiten. Wenn Uzun anführte, so endete es im alten Viertel von Tophane mit seinen engen und abschüssigen, zwischen Holzbauten durchführenden Gassen. Dort gab es an einer Ecke ein kleines Einheimischen-Café. Drinnen war nie jemand, doch draußen luden ein paar Sessel zum Sitzen und Anlehnen an der sonnenbeschienenen Hauswand ein. Der Wirt kam auch immer gleich mit dem türkischen Kaffee und der Wasserpfeife.
    Uzun konnte stundenlang dort sitzen und dem Spiel von Licht und Schatten zuschauen oder den grünen Fleck eines Feigenbaums bewundern, den ein kunstsinniger Zufall genau dort hatte wachsen lassen, wo ihn auch ein Maler hingestellt hätte.
    Jonsac konnte sich jetzt

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