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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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ein Taxi anhalten hören. Kurz darauf sah er ein weißes Kleid, eine schlanke, gutgebaute Gestalt.
    Es war Leyla. Sie bewegte sich mit gespielter Gelassenheit, als hätte reine Neugier sie in dieses Fischmarktviertel gelockt. Doch Jonsac sah ihr eine leichte Verspanntheit an. Er fragte sich, ob sie den Schneid haben würde, geradewegs in das Restaurant zu treten.
    Sie hatte ihn offenbar nicht, ihre Schritte zögerten, dann ging sie etwas langsamer weiter. Jonsac stand auf und schob den weißen Vorhang beiseite, der als Tür diente.
    »Leyla!« rief er.
    Er hatte die Serviette in der Hand und ein Stück Kuchen im Mund. Das Mädchen drehte sich um und tat überrascht.
    »Waren Sie da?«
    Sie gab ihm die Hand und besah sich neugierig das Lokal, das sie noch nie betreten hatte.
    »Nett hier!«
    »Kommen Sie doch herein … Haben Sie schon gegessen?«
    »Bei uns wird noch nach alter Sitte früh gegessen.«
    »Dann trinken Sie einen Kaffee mit mir?«
    Beflissen holte er einen Stuhl herbei, rückte ihn für sie zurecht und rief Avrenos.
    »Machen Sie uns einen sehr guten Kaffee!«
    Er getraute sich nicht, seinen Kuchen zu Ende zu essen. Es kam ihm lächerlich vor, vor dem Mädchen weiterzuessen.
    »Essen Sie ruhig, ich bitte Sie.«
    »Ich war schon fertig! Dieses Gebäck schmeckt nach gar nichts.«
    Er erinnerte sich, was Nouchi gesagt hatte.
    ›Diese Art von Mädchen hat weniger Hemmungen …‹
    Er war dennoch stolz, daß sie gekommen war. Es gab ihm sein Selbstvertrauen zurück.
    »Finden Sie nicht auch, daß Stambul zu dieser Jahreszeit unmöglich ist? Die letzten Jahre war ich in Frankreich oder in der Schweiz. Aber dieses Jahr, bei der Krise …«
    Sie wurde ernsthafter und fragte:
    »Nehmen Sie keinen Urlaub?«
    »Ich habe ihn im Winter genommen.«
    Das Restaurant leerte sich, und schließlich saßen nur noch sie beide am Fenster, während der einzige Kellner die Tische für den Abend herrichtete.
    »Was haben Sie heute nachmittag vor?«
    Er wußte es auch nicht recht. Er mußte zur Botschaft, wie jeden Tag. Er wurde dafür bezahlt. Er hatte außerdem bei diversen Ämtern einiges zu erledigen, doch das konnte zur Not bis zum nächsten Tag warten.
    »Und Nouchi sehen Sie nicht?«
    »Erst abends.«
    ›… hat weniger Hemmungen als wir …‹
    Es war eine weitere Bestätigung.
    »Ich hatte eigentlich Lust, bei dieser Hitze zu den Süßen Wassern Europas hinauszufahren«, murmelte sie und tat, als würde sie geschäftig in ihrer Handtasche wühlen.
    »Wenn Sie gestatten, begleite ich Sie.«
    ›… hat weniger Hemmungen …‹
    Was hätte Nouchi gesagt, wenn sie gehört hätte, wie Leyla mit einem nur mühsam überspielten Lächeln fragte:
    »Was würde Ihre liebe Nouchi denken?«
    »Nichts.«
    »Ist sie nicht eifersüchtig?«
    »Ich glaube nicht.«
    Jonsac war so linkisch wie vor Jahren, als er das erste Mal eine Frau umwarb. Er winkte zerstreut Avrenos, daß er zahlen wolle, obwohl er hier ein Konto hatte.
    »Ich nehme alles auf Ihre Rechnung«, lehnte dieser höflich ab.
    Dann wollte er ein Taxi suchen, doch Leyla protestierte lachend:
    »Wir nehmen das Schiff und mieten dann Esel.«
    Auf der Brücke mußten sie sich durch die Menge zwängen, die vor der Anlegestelle wartete. Es kamen pausenlos Schiffe an, sie fuhren wie Straßenbahnen nach allen Richtungen: nach Üsküdar, Haydar Paşa, Therapia, Prinkipo und zu den Inseln.
    Nouchi wäre unglücklich gewesen, wenn sie sich so unters Volk hätte mischen müssen, anstatt in einem Auto oder Motorboot zu fahren.
    Leyla hingegen gefiel das. Wenn ihre Familie im Häuschen am Bosporus war, mußte sie jeden Tag das Schiff nehmen. Sie kannte sich aus und suchte sich gleich einen guten Platz an der Reling. Gegenüber saß eine Bäuerin mit einem Korb auf den Knien.
    »Schön!« rief sie aus und sog lustvoll die lärmige Atmosphäre ein.
    Für Jonsac war dieser Ausflug mit dem Schiff in Begleitung eines Mädchens etwas Neues. Er wußte nicht einmal, was die Fahrt kostete, sie mußte es ihm sagen. Aber sie bestand darauf, ihre Fahrkarte selbst zu bezahlen.
    »Getrennte Kasse! Sonst gehe ich nie wieder mit Ihnen aus. Wenn meine Vettern aus Athen da sind, machen wir es genauso. Ich habe gesehen, daß es im Montparnasse-Viertel ganz üblich ist …«
    Es war fast dieselbe Strecke, die sie am Sonntag mit der Jacht gesegelt waren. Etwas hinter Therapia, unweit des Bosporus, beginnt ein schattiges Tal mit einer Quelle und üppiger Vegetation: die ›Süßen Wasser Europas‹.
    Das

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