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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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gestürzt, um ihr zu zeigen, daß er ein Mann war. Statt wütend zu werden, hatte sie einen solchen Lachanfall bekommen, daß ihr Tränen in den Augen standen. Ihr Busen hatte dabei heftig gewackelt, während ihre beiden Arme ihn gleichwohl auf Distanz hielten.
    »Wir werden schon sehen, ob …«
    Vielleicht eine Minute lang hatte er sich mit wahrem Ingrimm abgemüht, doch er war machtlos gewesen gegen dieses Lachen, und schließlich hatte er mit zerzaustem Haar und übel zerkratzten Armen aufgegeben.
    Lange danach, als er sie schon schlafend glaubte, hatte sie ganz ruhig gesagt:
    »Bei Leyla mußt du das machen!«
    Warum nicht? Nouchi demütigte ihn erbarmungslos und bauschte seine Schwäche auf. Schließlich war sie nicht die erste Frau in seinem Leben, und sie würde auch nicht die letzte sein.
    ›Nur draußen darf es nicht sein, wo man uns stören kann …‹
    Er dachte an praktische Details. Bei Avrenos, wo ihn jeder kannte, ließ sich bestenfalls ein wenig plaudern. Ein Motorboot zu mieten und auf dem Bosporus herumzufahren wäre eine Möglichkeit gewesen, wenn es ohne Bootsführer gegangen wäre.
    Jonsac dachte sogar an ein Hotelzimmer, doch er verwarf den Gedanken bald wieder.
    »Könnte ich telefonieren?« fragte er, unvermittelt in das Büro des Chefs der Ausländerbehörde eintretend.
    »Bitte sehr.«
    Er ließ sich mit seiner Wohnung verbinden. Nouchi meldete sich.
    »Was machst du heute nachmittag?«
    »Ich gehe mit Stolberg ins Konzert.«
    »Wann gehst du weg?«
    »In einer Stunde. Ich esse nicht, ich kaufe mir unterwegs Gebäck.«
    Er fragte sich, ob der Türke, der ihm gegenübersaß und die Bernsteinkette durch die Finger gleiten ließ, die Veränderung in seinem Gesicht bemerkt hatte. Er hatte einige Mühe, sich für die angebotene Zigarette mit einem Lächeln zu bedanken und den türkischen Kaffee abzulehnen.
    »Geht es Ihnen gut?«
    Der Chef der Ausländerbehörde fragte ihn nicht nach Nouchi, weil die Höflichkeit es den Türken verbietet, jemanden auf seine Frau anzusprechen.
    »Sehr gut.«
    Man meldete, daß der Präsident frei sei, und Jonsac verbrachte einige Minuten in dessen Büro. Anschließend rief er die Botschaft an, um die Ergebnisse des Gesprächs mitzuteilen.
    »Wann sieht man Sie?« fragte der Sekretär etwas ungnädig.
    »Gegen Abend.«
    »Der Botschafter hat seit gestern zweimal nach Ihnen gefragt. Ich habe sogar bei Ihnen zu Hause angerufen, doch Sie waren nicht da. Könnten Sie nicht gleich vorbeikommen?«
    »Vollkommen ausgeschlossen. Entschuldigen Sie. Sagen Sie Seiner Exzellenz …«
    Der Sekretär hatte schon aufgelegt. Nochmals Ärger! Ein Verstimmungsgrund kam zum anderen hinzu, und als Jonsac zu Fuß zum Fischmarkt ging, war sein Blick lauernd, als wittere er eine Gefahr. Vielleicht spielte auch das Wetter mit hinein. Seit einem Monat hatte es nicht mehr geregnet, die trockene Luft kratzte im Hals, und die elektrische Aufladung der Luft übertrug sich auf die Nerven. Zweimal wurde der Straßenstaub von einem plötzlichen Windstoß hochgewirbelt.
    Es war ein Uhr, als er Avrenos’ Lokal betrat, und er sah auf den ersten Blick, daß Leyla nicht da war.
    »Hat niemand nach mir gefragt?«
    »Eine Dame hat angerufen. Sie könne nicht kommen, aber sie sei um zwei Uhr auf der Neuen Brücke, links beim Landungssteg.«
    Das Kalmückengesicht, das ganz hinten an einem Tisch saß, nahm seinen Teller und setzte sich zu ihm. Der Mann sprach sehr schlecht Französisch, versteifte sich aber darauf, mit Jonsac in dessen Muttersprache zu reden, obwohl dieser doch perfekt Türkisch konnte. Die Unterhaltung war mühsam und drehte sich endlos um die Bildhauerei, die der Mann erneuern wollte.
    »Nehmen Sie irgendeine Oberfläche … Was ist eine Oberfläche? …«
    Er rauchte schon am Morgen, und vor allem trank er pausenlos, so daß man nie wußte, ob er nüchtern oder betrunken war, denn er hatte immer dieselben wilden Gebärden und dieselbe stockende Stimme.
    ›Warum mitten auf der Brücke?‹ fragte sich Jonsac.
    Es wurmte ihn. Alles wurmte ihn. Noch nie war er sich so minderwertig vorgekommen, obwohl er, wenn er diesen Ahbad mit seiner feuchten Aussprache ansah, sich wiederum sagen mußte:
    »Ich bin viel intelligenter als er, auch intelligenter als Müfti und Stolberg, sogar intelligenter als Amar Paşa … Ich weiß mehr als sie, und aussehen …«
    Ja, doch, er sah keineswegs übel aus, im Gegenteil. Doch alle diese Leute schienen keine Minderwertigkeitsgefühle zu haben. Er selbst

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