Der Stechlin.
Jahren, aus der Fremde wieder nach hier zurückkam, und vieles gefällt mir auch noch nicht. Überall ein zu langsames Tempo. Wir haben in jedem Sinne zu viel Sand um uns und in uns, und wo viel Sand ist, da will nichts recht vorwärts, immer bloß hü und hott. Aber dieser Sandboden ist doch auch wieder tragfähig, nicht glänzend, aber sicher. Er muß nur, und vor allem der moralische, die richtige Witterung haben, also zu rechter Zeit Regen und Sonnenschein. Und ich glaube, Kaiser Friedrich hätt’ ihm diese Witterung gebracht.«
»Ich glaub’ es nicht«, sagte Dubslav.
»Meinen Sie, daß es ihm schließlich doch nicht ein rechter Ernst mit der Sache war?«
»O nein, nein. Es war ihm Ernst, ganz und gar. Aber es würd’ ihm zu schwer gemacht worden sein. Rund heraus, er wäre gescheitert.«
»Woran?«
»An seinen Freunden vielleicht, an seinen Feinden gewiß. Und das waren die Junker. Es heißt immer, das Junkertum sei keine Macht mehr, die Junker fräßen den Hohenzollern aus der Hand und die Dynastie züchte sie bloß, um sie für alle Fälle parat zu haben. Und das ist eine Zeitlang vielleicht auch richtig gewesen. Aber heut’ ist es nicht mehr richtig, es ist heute grundfalsch. Das Junkertum (trotzdem es vorgibt, seine Strohdächer zu flicken, und sie gelegentlich vielleicht auch wirklich flickt), dies Junkertum - und ich bin inmitten aller Loyalität und Devotion doch stolz, dies sagen zu können - hat in dem Kampf dieser Jahre kolossal an Macht gewonnen, mehr als irgendeine andre Partei, die Sozialdemokratie kaum ausgeschlossen, und mitunter ist mir’s, als stiegen die seligen Quitzows wieder aus dem Grabe herauf. Und wenn das geschieht, wenn unsre Leute sich auf das besinnen, worauf sie sich seit über vierhundert Jahren nicht mehr besonnen haben, so können wir was erleben. Es heißt immer: ›unmöglich‹. Ah hab, was ist unmöglich? Nichts ist unmöglich. Wer hätte vor dem 18. März den ›l8. März‹ für möglich gehalten, für möglich in diesem echten und rechten Philisternest Berlin! Es kommt eben alles mal an die Reihe; das darf nicht vergessen werden. Und die Armee! Nun ja. Wer wird etwas gegen die Armee sagen? Aber jeder glückliche General ist immer eine Gefahr! Und unter Umständen auch noch andre. Sehen Sie sich den alten Sachsenwalder an, unsren Zivil-Wallenstein. Aus dem hätte schließlich doch Gott weiß was werden können.«
»Und Sie glauben«, warf der Graf hier ein, »an dieser scharfen Quitzow-Ecke wäre Kaiser Friedrich gescheitert?«
»Ich glaub’ es.«
»Hm, es läßt sich hören. Und wenn so, so wär’ es schließlich ein Glück, daß es nach den neunundneunzig Tagen anders kam und wir nicht vor diese Frage gestellt wurden.«
»Ich habe mit meinem Woldemar, der einen stark liberalen Zug hat (ich kann es nicht loben und mag’s nicht tadeln) oft über diese Sache gesprochen. Er war natürlich für Neuzeit, also für Experimente… Nun hat er inzwischen das bessere Teil erwählt, und während wir hier sprechen, ist er schon über Trebbin hinaus. Sonderbar, ich bin nicht allzu viel gereist, aber immer, wenn ich an diesem märkischen Neste vorbeikam, hatt’ ich das Gefühl: ›Jetzt wird es besser, jetzt bist du frei.‹ Ich kann sagen, ich liebe die ganze Sandbüchse da herum, schon bloß aus diesem Grunde.«
Der alte Graf lachte behaglich. »Und Trebbin wird sich von dieser Ihrer Schwärmerei nichts träumen lassen. Übrigens haben Sie recht. Jeder lebt zu Hause mehr oder weniger wie in einem Gefängnis und will weg. Und doch bin ich eigentlich gegen das Reisen überhaupt und speziell gegen die Hochzeitsreiserei. Wenn ich so Personen in ein Coupé nach Italien einsteigen sehe, kommt mir immer ein Dankgefühl, dieses ›höchste Glück auf Erden‹ nicht mehr mitmachen zu müssen. Es ist doch eigentlich eine Qual, und die Welt wird auch wieder davon zurückkommen; über kurz oder lang wird man nur noch reisen, wie man in den Krieg zieht oder in einen Luftballon steigt, bloß von Berufs wegen. Aber nicht um des Vergnügens willen. Und wozu denn auch? Es hat keinen rechten Zweck mehr. In alten Zeiten ging der Prophet zum Berge, jetzt vollzieht sich das Wunder und der Berg kommt zu uns. Das Beste vom Parthenon sieht man in London und das Beste von Pergamum in Berlin, und wäre man nicht so nachsichtig mit den lieben, nie zahlenden Griechen verfahren, so könnte man sich (am Kupfergraben) im Laufe des Vormittags in Mykenä und nachmittags in Olympia ergehn.«
»Ganz
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