Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Stechlin.

Der Stechlin.

Titel: Der Stechlin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane , Helmuth Nürnberger
Vom Netzwerk:
plötzlich geöffnete Tür mehr Licht einfallen ließ, bemerkte sie das Kind und sagte: »Da sitzt ja wer. Wer ist denn das?«
    »Das ist Agnes, das Enkelkind von der Buschen.«
    Adelheid bewahrte mit Mühe Haltung. Als sie sich wieder zurechtgefunden, sagte sie: »So, Agnes. Das Kind von der Karline?«
    Dubslav nickte.
    »Das ist mir ja ‘ne Überraschung. Und wo hast du sie denn, seit ich hier bin, versteckt gehalten? Ich habe sie ja die ganze Woche über noch nicht gesehn.«
    »Konntest du auch nicht, Adelheid; sie ist erst seit gestern abend hier. Mit Engelke ging das nicht mehr, wenigstens nicht auf die Dauer. Er ist ja so alt wie ich. Und immer raus in der Nacht und rauf und runter und mich umdrehn und heben. Das konnt’ ich nich mehr mit ansehn.«
    »Und da hast du dir die Agnes kommen lassen? Die soll dich nun rumdrehn und heben? Das Kind, das Wurm. Haha. Was du dir doch alles für Geschichten machst.«
    »Agnes«, sagte hier Dubslav, »du könntest mal zu Mamsell Pritzbur in die Küche gehn und ihr sagen, ich möchte heute mittag ‘ne gefüllte Taube haben. Aber nich so mager und auch nich so wenig Füllung, und daß es nich nach alter Semmel schmeckt. Und dann kannst du gleich bei der Mamsell unten bleiben und dir ‘ne Geschichte von ihr erzählen lassen, vom ›Schäfer und der Prinzessin‹ oder vom ›Fischer un sine Fru‹; Rotkäppchen wirst du wohl schon kennen.«
    Agnes stand auf, trat unbefangen an den Tisch, wo Bruder und Schwester saßen, und machte wiederholt ihren Knicks. Dabei hielt sie das Strickzeug und den langen Strumpf in der Hand.
    »Für wen strickst du denn den?« fragte die Domina.
    »Für mich.«
    Dubslav lachte. Adelheid auch. Aber es war ein Unterschied in ihrem Lachen. Agnes nahm übrigens nichts von diesem Unterschied wahr, sah vielmehr ohne Furcht um sich und ging aus dem Zimmer, um unten in der Küche die Bestellung auszurichten.
    Als sie hinaus war, wiederholte sich Adelheids krampfhaftes Lachen. Dann aber sagte sie: »Dubslav, ich weiß nicht, warum du dir, solang ich hier bin, gerade diese Hilfskraft angenommen hast. Ich bin deine Schwester und eine Märkische von Adel. Und bin auch die Domina von Kloster Wutz. Und meine Mutter war eine Radegast. Und die Stechline, die drüben in der Gruft unterm Altar stehn, die haben, so viel ich weiß, auf ihren Namen gehalten und sich untereinander die Ehre gegeben, die jeder beanspruchen durfte. Du nimmst hier das Kind der Karline in dein Zimmer und setzt es ans Fenster, fast als ob’s da jeder so recht sehn sollte. Wie kommst du zu dem Kind? Da kann sich Woldemar freuen und seine Frau auch, die so was ›Unberührtes‹ hat. Und Gräfin Melusine! Na, die wird sich wohl auch freun. Und die darf auch. Aber ich wiederhole meine Frage, wie kommst du zu dem Kind?«
    »Ich hab’ es kommen lassen.«
    »Haha. Sehr gut; ›kommen lassen‹. Der Klapperstorch hat es dir wohl von der grünen Wiese gebracht und natürlich auch gleich für die roten Beine gesorgt. Aber ich kenne dich besser. Die Leute hier tun immer so, wie wenn du dem alten Kortschädel sittlich überlegen gewesen wärst. Ich für meine Person kann’s nicht finden und sage dir gern meine Meinung darüber. Aber ich nehme häßliche Worte nicht gern in den Mund.«
    »Adelheid, du regst dich auf. Und ich frage mich, warum? Du bist ein bißchen gegen die Buschen - nun gut, gegen die Buschen kann man sein; und du bist ein bißchen gegen die Karline - nun gut, gegen die Karline kann man auch sein. Aber ich sehe dir’s an, das Eigentliche, was dich aufregt, das ist nicht die Buschen und ist auch nicht die Karline, das sind bloß die roten Strümpfe. Warum bist du so sehr gegen die roten Strümpfe?«
    »Weil sie ein Zeichen sind.«
    »Das sagt gar nichts, Adelheid. Ein Zeichen ist alles. Wovon sind sie ein Zeichen? Darauf kommt es an.«
    »Sie sind ein Zeichen von Ungehörigkeit und Verkehrtheit. Und ob du nun lachen magst oder nicht - denn an einem Strohhalm sieht man eben am besten, woher der Wind weht -, sie sind ein Zeichen davon, daß alle Vernunft aus der Welt ist und alle gesellschaftliche Scheidung immer mehr aufhört. Und das alles unterstützt du. Du denkst wunder, wie fest du bist; aber du bist nicht fest und kannst es auch nicht sein, denn du steckst in allerlei Schrullen und Eitelkeiten. Und wenn sie dir um den Bart gehn oder dich bei deinen Liebhabereien fassen, dann läßt du das, worauf es ankommt, ohne weiteres im Stich. Es soll jetzt viele solche geben, denen ihr

Weitere Kostenlose Bücher