Der Stechlin.
Humor und ihre Rechthaberei viel wichtiger ist als Gläubigkeit, und Apostolikum. Denn sie sind sich selber ihr Glaubensbekenntnis. Aber, glaube mir, dahinter steckt der Versucher, und wohin der am Ende führt, das weißt du, - so viel wird dir ja wohl noch geblieben sein.«
»Ich hoffe«, sagte Dubslav.
»Und weil du bist, wie du bist, freust du dich, daß diese Zierpuppe (schon ganz wie die Karline) rote Strümpfe trägt und sich neue dazu strickt. Ich aber wiederhole dir, diese roten Strümpfe, die sind ein Zeichen, eine hochgehaltene Fahne.«
»Strümpfe werden nicht hochgehalten.«
»Noch nicht, aber das kann auch noch kommen. Und das ist dann die richtige Revolution, die Revolution in der Sitte - das, was sie jetzt das ›Letzte‹ nennen. Und ich begreife dich nicht, daß du davon kein Einsehn hast, du, ein Mann von Familie, von Zugehörigkeit zu Thron und Reich. Oder der sich’s wenigstens einbildet.«
»Nun gut, nun gut.«
»Und da reist du herum, wenn sie den Torgelow oder den Katzenstein wählen wollen, und hältst deine Reden, wiewohl du eigentlich nicht reden kannst…«
»Das is richtig. Aber ich hab’ auch keine gehalten…«
»Und hältst deine Reden für König und Vaterland und für die alten Güter und sprichst gegen die Freiheit. Ich versteh’ dich nicht mit deinem ewigen ›gegen die Freiheit‹. Laß sie doch mit ihrer ganzen dummen Freiheit machen, was sie wollen. Was heißt Freiheit? Freiheit ist gar nichts; Freiheit ist, wenn sie sich versammeln und Bier trinken und ein Blatt gründen. Du hast bei den Kürassieren gestanden und mußt doch wissen, daß Torgelow und Katzenstein (was keinen Unterschied macht) uns nicht erschüttern werden, uns nicht und unsern Glauben nicht und Stechlin nicht und Wutz nicht. Die Globsower, solange sie bloß Globsower sind, können gar nichts erschüttern. Aber wenn erst der Buschen ihre Enkelkinder, denn die Karline wird doch wohl schon mehrere haben, ihre Knöpfstiefel und ihre roten Strümpfe tragen, als müßt’ es nur so sein, ja, Dubslav, dann ist es vorbei. Mit der Freiheit, laß mich das wiederholen, hat es nicht viel auf sich; aber die roten Strümpfe, das ist was. Und dir trau’ ich ganz und gar nicht, und der Karline natürlich erst recht nicht, wenn es auch vielleicht schon eine Weile her ist.«
»Sagen wir ›vielleicht‹.«
»Oh, ich kenne das. Du willst das wegwitzeln, das ist so deine Art. Aber unser Kloster ist nicht so aus der Welt, daß wir nicht auch Bescheid wüßten.«
»Wozu hättet ihr sonst euern Fix?«
»Kein Wort gegen den.«
Und in großer Erregung brach das Gespräch ab. Noch am selben Nachmittag aber verabschiedete sich Adelheid von ihrem Bruder und fuhr nach Wutz zurück.
Verweile doch. Tod. Begräbnis. Neue Tage
Vierzigstes Kapitel
Agnes, während oben die gereizte Szene zwischen Bruder und Schwester spielte, war unten in der Küche bei Mamsell Pritzbur und erzählte von Berlin, wo sie vorigen Sommer bei ihrer Mutter auf Besuch gewesen war. »Eins war da«, sagte sie, »das hieß das Aquarium. Da lag eine Schlange, die war so dick wie ‘n Bein.«
»Aber hast du denn schon Beine gesehn?« fragte die Pritzbur.
»Aber, Mamsell Pritzbur, ich werde doch wohl schon Beine gesehn haben… Und dann, an einem andern Tag, da waren wir in einem ›Tiergarten‹, aber in einem richtigen, mit allerlei Tieren drin. Und den nennen sie den ›Zoologischen‹.«
»Ja, davon hab’ ich auch schon gehört.«
»Und in dem ›Zoologischen‹, da war ein ganz kleiner See, noch viel kleiner als unser Stechlin, und in dem See standen allerlei Vögel. Und einer, ganz wie ‘n Storch, stand auf einem Bein.«
Als die Mädchen das Wort »Storch« hörten, kamen sie näher heran.
»Aber die Beine von dem Vogel, oder es waren wohl mehrere Vögel, die waren viel größer als Storchenbeine und auch viel dicker und viel röter.«
»Und taten sie dir nichts?«
»Nein, sie taten mir nichts. Bloß, wenn sie so ‘ne Weile gestanden hatten, dann stellten sie sich auf das andre Bein. Und ich sagte zu Mutter: ›Mutter, komm; der eine sieht mich immer so an.‹ Und da gingen wir an eine andere Stelle, wo der Bär war.«
Das Kind erzählte noch allerlei. Die Mädchen und auch die Mamsell freuten sich über Agnes, und sie trug ihnen ein paar Lieder vor, die ihre Mutter, die Karline, immer sang, wenn sie plättete, und sie tanzte auch, während sie sang, wobei sie das himmelblaue Kleid zierlich in die Höhe nahm, ganz so, wie sie’s in der
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