Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
entschlossen, ohne Beben, ohne eine Spur von Angst.
»Geh jetzt«, sagte Dagnarus. »Lass mich allein. Ich muss beenden, was ich begonnen habe.«
Halb blind vor Tränen drehte Gareth sich um und stolperte den Flur entlang. Er blieb erst stehen, als er mit tiefer Scham erkannte, dass er froh war, dass Dagnarus ihn weggeschickt und damit alle Verantwortung abgenommen hatte.
Als er das verstand, blieb er stehen, wischte sich die Tränen ab und sah Valura an. Hätte sie gewusst, was er vorhatte, würde sie ihn aufhalten. Sie hatte ihren Posten eingenommen und stand Wache, wie man ihr befohlen hatte. Sie kümmerte sich nicht um ihn.
Gareth zögerte nur einen Augenblick, dann begann er zu rennen.
Die Entfernung, die er zurücklegen musste, war nicht groß, aber wie in einem Albtraum, in dem ein Flur nur kurz aussieht, aber mit jedem Schritt, den man macht, länger wird, schien auch dieser Flur sich weiter auszudehnen.
Gareth rannte dennoch weiter.
Dagnarus wartete, bis er sicher war, allein zu sein, wartete, bis er die letzten beiden Geschöpfe verbannt hatte, die ihn liebten. Frei von ihnen, frei von allen Zwängen, schlug er nun mit der Faust gegen die geschlossene Tür.
»Helmos! Die Götter können dir nicht mehr helfen. Sie haben dich verlassen. Komm heraus und stelle dich mir, wenn du dich und deine Stadt retten willst.«
Die Tür zum Portal der Götter ging auf. Helmos stand in der Tür, in der Rüstung eines Paladins, die ein strahlend weißes Licht reflektierte, das hinter ihm erstrahlte.
Dagnarus starrte ehrfürchtig an seinem Bruder vorbei.
Das Portal war keine kleine, enge Zelle mehr. Das Portal war ein gewaltiger Saal, dessen Wände nicht sichtbar waren und dessen Decke aus der Himmelskuppel bestand. Die Kuppel war leer, aber diese Leere war von Licht, nicht von Dunkelheit erfüllt. Inmitten des Saals glitzerte der Stein der Könige – ein Viertel des Steins der Könige – hell im Licht wie der Abendstern bei Sonnenuntergang.
Dagnarus wandte den Blick seiner Beute zu, die nun unbewacht war. Nur sein Bruder stand zwischen ihm und seinem Herzenswunsch.
Die Miene des Königs war ernst, aber das Licht, das hinter ihm leuchtete, strahlte auch aus seinen Augen.
»Du weißt, warum ich hier bin«, sagte Dagnarus und betrachtete seinen Bruder mit einer Mischung aus Hass und Neid. »Du weißt, was ich will. Meine Armee hat gesiegt, die Stadt Vinnengael gehört mir. Der Stein der Macht wird mir ebenfalls gehören. Tritt beiseite.«
Helmos schwieg, rührte sich aber nicht vom Fleck.
»Tritt beiseite, Helmos!«, wiederholte Dagnarus und legte die behandschuhte Hand an den Griff seines schwarzen Schwerts. »Ich will dir nicht wehtun – du bist mein Bruder, und das Blut unseres Vaters fließt in uns beiden.« Sein Blick wurde härter. »Aber ich werde dich ohne Bedenken töten, wenn du nicht beiseite gehst.«
»Es ist um unseres Vaters willen, ebenso wie um deinetwillen, dass ich dir dies sage«, antwortete Helmos ruhig. »Betritt das Portal der Götter nicht, Dagnarus. Der Stein der Könige kann dir niemals gehören. Die Götter werden dich vernichten, wenn du versuchst, ihn dir zu nehmen.«
»Die Götter werden mich vernichten?« Dagnarus lachte. »Nun, lieber Bruder, ich bin selbst beinahe ein Gott! Ich besitze den Dolch der Vrykyl, ich habe das Blut jener getrunken, die ich der Leere überantwortete. Ich verfüge über mehr Leben, als man es von Katzen behauptet.«
Dagnarus trat einen weiteren Schritt vor. »Geh beiseite, Helmos. Oder deine liebe Frau, die ich in der Obhut meiner Truppen zurückgelassen habe, wird Witwe sein.«
Helmos wurde bei diesen Worten bleich, aber seine Entschlossenheit blieb. »Die Götter werden sie beschützen«, sagte er leise. »Und sie werden sie sicher zu mir bringen, wenn all dies hinter uns liegt.« Er sah seinen Bruder beinahe zärtlich an. »Die letzten Gedanken unseres Vaters galten dir. Seine letzte Sorge auf dieser Welt galt dir. Ich sage dir dies in seinem Namen: Wenn du das Portal betrittst, dann tust du es auf eigene Gefahr. Und du wirst nicht nur dich selbst gefährden, sondern ganz Vinnengael.«
»Willst du mir etwa drohen?«, höhnte Dagnarus.
»Nein«, sagte Helmos. »Ich versuche, dich zu warnen.« Er zog sein Schwert, nicht sonderlich geschickt, denn er war ein Gelehrter, kein Krieger. »Um deinetwillen und um meines Volkes willen werde ich dich aufhalten.«
»Du kannst es ja versuchen, Bruder«, erwiderte Dagnarus und zog ebenfalls das Schwert.
Weitere Kostenlose Bücher