Der Stein der Wikinger
Ivar war bei den wagemutigen Männern, die sich aus vollem Lauf gegen das breite Holztor warfen und es zum Einsturz brachten. Vor Angriffslust johlend und von wilder Begeisterung getragen, stürmten sie in den großen Klosterhof.
Auch ohne Kommandos wussten die Männer, was sie zu tun hatten. Drogheda Abbey war nicht das erste Kloster, das sie überfielen. In jedem gab es eine Kirche mit wertvollen Schätzen, manchmal sogar einen Keller, in dem Gold, Silber und Edelsteine gehortet wurden, ein Schulhaus und zwei oder drei Häuser, in denen sich die Familien aus der näheren Umgebung verschanzt hatten, und die armseligen Hütten der Mönche, die meist betend auf dem Boden hockten und sich abschlachten ließen. Auch diesmal leisteten nur wenige Bewohner Gegenwehr. Es flogen ihnen kaum Pfeile entgegen, und die wenigen prallten wirkungslos an den Schilden der Krieger ab.
Hakon blieb im Schatten von Ivar, dort war er stets im Mittelpunkt des Geschehens und konnte sich am besten beweisen. Sein Onkel war ein Mann, der keinem Kampf aus dem Weg ging und immer die größte Gefahr suchte. »Jetzt zeig, dass du kein kleiner Junge mehr bist!«, rief Ivar ihm zu.
Mit erhobenem Schwert stürzte sich Hakon auf das erste Opfer, einen unbewaffneten Bauern, der in panischer Angst aus einem der Häuser gerannt kam. Er schlug ihn mit dem Schwert nieder, hörte verwundert, wie der Sterbende es fertigbrachte, ihn wortreich zu verfluchen, bevor er die Augen schloss. Hakon stieg über ihn hinweg und folgte Ivar, der sein zweischneidiges Schwert mit beiden Händen führte und reiche Ernte unter den Feinden hielt. Er machte keinen Unterschied zwischen Männern, Frauen und Kindern, tötete jeden, der sich ihm in den Weg stellte. Selbst einigen Gänsen, die laut schnatternd hinter einem der steinernen Kreuze hervorkamen, schlug er ins Gefieder.
Hakon ließ sich von der Mordlust seiner Mitstreiter anstecken. Mit wüstem Geschrei stürzte er sich auf die Feinde, die jetzt aus den Häusern kamen und nach allen Seiten davonrannten. Sein Schwert machte auch vor Schwachen und Hilflosen nicht halt. Jahrelang hatte man ihm beigebracht, dass ein Nordmann seine Feinde entweder vernichtete oder als Sklaven nahm, und dafür kamen nur kräftige Jünglinge und gesunde Mädchen oder Kinder in Betracht. Doch als er zwei junge Mädchen zur Mauer treiben wollte, versperrte Ivar ihm den Weg und tötete sie mit zwei wuchtigen Schwerthieben. »So viel Platz haben wir nicht in unserem Boot!«, rief er.
Ein Messer bohrte sich in Hakons Schild und erinnerte ihn daran, dass er nicht unverwundbar war. Er war kein Sagaheld wie Sigurd, dem die Götter einen unsterblichen Körper geschenkt hatten. Hastig riss er den Schild hoch, wehrte den Bauern ab, der das Messer geworfen hatte, und trieb ihn mit dem Schwert vor sich her. Er rammte ihn mit dem Schild gegen die Mauer und stieß ihm die Waffe in den Leib. Im selben Augenblick fuhr er herum und tötete einen Mann, der sich mit bloßen Händen auf ihn gestürzt hatte. Er sah, wie zwei Bauern mit Speeren auf einen Nordmann am Boden einstachen, schlug ihnen die Waffen aus den Händen und tötete sie jeweils mit einem einzigen Hieb. Von dem Krieger am Boden erntete er bloß ein wütendes Schnauben.
Vor Anstrengung keuchend drehte er sich zu den Mönchshütten um. Einige Krieger hatten Fackeln auf die Strohdächer geworfen und beißender Rauch zog über den Klosterhof. Die begeisterten Schreie der anderen Nordmänner vermischten sich mit den Hilferufen und den Todesschreien der Klosterbewohner. Das Prasseln der Flammen wurde immer lauter, brennende Strohbündel fielen von den Hütten und zerstoben in einem Funkenregen. Unberührt von dem Chaos kniete ein Mönch in seinem weißen Umhang auf dem Boden, beide Hände zum Himmel erhoben, und rief: »Habe ich es nicht gesagt? Aus dem Norden wird Böses hereinbrechen über alle Einwohner des Landes. So sprach Jeremias in seinen Prophezeiungen.« Und lateinisch fügte er hinzu: »A furore Normannorum libera nos, Domine! Herr, errette uns vor der Raserei der Nordmänner!«
Hakon verstand weder die eine noch die andere Sprache und beobachtete teilnahmslos, wie Gunnar aus dem dunklen Rauch auftauchte und den betenden Mönch mit seinem Schwert tötete. Eine Frau, die sich vor ihm auf den Boden warf und um Gnade flehte, beachtete Hakon gar nicht. Er hatte sich einen solchen Angriff anders vorgestellt, mit mehr Widerstand gerechnet. Es machte wenig Spaß, gegen Menschen zu kämpfen, die
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