Der Stein - Hohler, F: Stein
zum Wohnungseingang, und als der König nun die Treppe heraufkam, fragte er ihn: »Suchen Sie jemanden? « Der König schaute ihn mit seinen blauen Augen an und nickte fast unmerklich.
»Falls Sie meinen Freund Georg suchen, er ist nicht da«, sagte Balz, »aber kommen Sie herein. Ich heiße Balz – und Sie?« Der König zeigte auf seinen Mund und machte eine bedauernde Geste. Oh, dachte Balz, stumm also, behindert.
Während der neue Gast seine Bergschuhe auszog, seine Handschuhe darauflegte und den Mantel an einen
Holzhaken hängte, rief Balz mit dem Handy seinen Freund an und fragte ihn leise auf dessen Combox, was es mit dem stummen Menschen auf sich habe, der ihn vermutlich kenne, er hoffe auf einen baldigen Rückruf zur Klärung.
Dann bat er den Mann aus dem Flur in die Küche und fragte ihn, ob er auch einen Tee möchte. Der andere nickte. Er trug eine Art weißen Overall, einen Ganzkörperanzug, der Balz an die Pyjamas für Kleinkinder erinnerte. Sein Diadem hatte er aufbehalten.
Balz füllte ein zweites Tee-Ei. Ob er Zucker wolle, fragte er, und wieder nickte der andere, und Balz griff nach der Zuckerdose. Schnaps? fragte er, aber der König verneinte. Immerhin versteht er, was ich frage, dachte Balz. Er schaute dem andern in die Augen, wenn er sprach, und versuchte, die Lippen möglichst deutlich dazu zu formen, wie er es als Kind gelernt hatte, als er eine Zeit lang einen gehörlosen Nachbarjungen gehabt hatte.
Nun setzte sich Balz wieder auf den Rohrstuhl in der kleinen Stube, machte das Licht an und bot dem Gast das Sofa an. Dieser setzte sich, legte das tropfende Tee-Ei in die Untertasse, rührte mit dem Löffel den Zucker um, trank dann einen Schluck und nickte anerkennend.
Balz nickte zurück. »Viel Schnee«, sagte er dann.
Der andere nickte. Jedes Mal, wenn er nickte, blitzte der Widerschein der Lampe in seinem Diademstein auf. Er trank wieder einen Schluck und hielt die heiße Tasse mit beiden Händen, ohne sie danach abzustellen.
Was sprach man mit so jemandem?
»Sie kommen aus dem Dorf?« fragte Balz schließlich. Zu seinem Erstaunen schüttelte der andere den Kopf.
»Woher denn?« fragte Balz. Als der andere nicht antwortete, hielt er ihm seinen Schreibblock hin. »Schreiben Sie es mir auf? Auch Ihren Namen?« Er sah die Rubriken »Alte Welt« und »Neue Welt« und riss das Papier heraus. Vielleicht, dachte er, muss ich ihn einen Moment allein lassen. Im Aufstehen spürte er ein scharfes Stechen im Steißbein, er ging mit dem Papier in die Küche, faltete es zweimal und warf es in den Abfalleimer unter dem Ausguss.
Dann musste er sich mit beiden Händen am Spülbecken aufstützen und erbrach die Suppe, die er sich zum Mittagessen gemacht hatte. Fassungslos blickte er in die üble Masse mit dem säuerlichen Geruch, in der auch noch einzelne unverdaute Brot- und Käsestücklein zu sehen waren. Er beugte sich unter den Hahn, ließ Wasser in seinen Mund laufen und spie es wieder aus. Plötzlich hatte er große Mühe, auf seinen Beinen zu stehen, ihm war, als hätte man ihm die Knochen herausgenommen.
Als er sich mit beiden Ellbogen auf den Ausguss stützte, um nicht umzusinken, spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Der vierte König stand neben ihm, schaute ihn besorgt an, griff ihm dann unter die linke Achsel und zog ihn hoch. Dann ging er langsam mit ihm zum Schlafzimmer, schlug dort die Bettdecke zurück und setzte ihn auf den Bettrand. Sorgfältig begann er ihn auszuziehen, bis auf seine langen Unterhosen und das T-Shirt, hob ihm
dann die Beine hoch und legte ihn ins Bett. Mit einem Schüttelfrost verkroch sich Balz unter die Decke, einem Schüttelfrost, der anhielt, bis der König, der sich hier auszukennen schien, mit einer heißen Bettflasche dastand, die er ihm auf den Bauch legte. Das beruhigte ihn, und er glitt in einen unruhigen Schlaf, in welchem ihn Traumbilder jagten.
Als er wieder erwachte, war es draußen dunkel geworden. Die Nachttischlampe brannte, und der König in seinem weißen Overall mit seinem Stirnreif saß neben seinem Bett und beugte sich über ihn. Der rubinrote Stein schaute ihn wie ein drittes Auge an. Als der König sah, dass Balz wach war, gab er ihm einen heißen Kamillentee zu trinken. Er war so schwach, dass er sich kaum aufsetzen konnte. Drei Schlucke nahm er, dann ließ er sich wieder ins Kissen sinken. Er war schweißnass, seine Unterkleider klebten ihm am Leib. Das Stechen im Steißbein war zu einem brennenden Schmerz geworden. Der König
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