Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Stein - Hohler, F: Stein

Der Stein - Hohler, F: Stein

Titel: Der Stein - Hohler, F: Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
Vom Netzwerk:
einen kragenlosen grünen Überwurf, der eher einer Jagdpelerine glich, hatte krauses Haar und war schwarz geschminkt.
    Balz öffnete das Fenster und verstand nun einige der Worte des Liedes, »Könige«, »Morgenland«, »Stern« und »Jordanstrand«. Als er sich fragte, woher die Paukenschläge kamen, die den feierlichen Takt des Liedes angaben, sah er in einem geringen Abstand hinter den drei Sängern eine vierte Königsfigur in einem weißen Mantel, die eine große Trommel umgehängt hatte und mit einem Riemen über Schultern und Brust einen Hornschlitten hinter sich herzog.
    Vier Könige, davon hatte er noch nie gehört. Vielleicht hatten die hier eine besondere Bedeutung, von der er
nichts wusste. Auch dass sie zu seinem Haus kamen, mutete ihn seltsam an. Er war Gast, gestern angekommen, und kannte niemanden. Der Weg machte zwei Kurven bergauf, um neben dem Haus wieder in einer Kurve bergwärts zu verschwinden, zum nächsten und letzten Haus oberhalb des Dorfes.
    Balz hoffte einen Augenblick, sie zögen vorbei, doch die merkwürdige Gruppe stellte sich auf dem Vorplatz auf und sang weiter, sang nur für ihn, und der vierte König blieb in der letzten Kurve stehen und schlug seine Trommel dazu.
    Balz verstand nun Satzteile wie »treulich Schritt« und »die Könige wandern, o wandere mit«, er stand im Fenster und winkte ihnen freundlich zu, worauf alle drei ungerührt weitersangen, nur der vierte König hob von der Kurve her grüßend seine Hand.
    Nun zog er seinen Geldbeutel aus der Gesäßtasche, ging die Treppe hinunter, öffnete die Tür und trat zu den Sängern, die gerade mehrere Male die Worte »Myrrhen und Gold« variierten, es war offenbar der Schluss des Liedes, denn nun verstummten auch die Paukenschläge.
    »Danke«, sagte Balz, »danke. Ich bin selbst ein Dreikönigskind. « Die drei Könige nickten huldvoll und blickten sich gegenseitig an.
    »Ich bin zu Gast und habe leider kaum etwas im Haus – darf ich euch etwas geben?« fragte Balz, und hielt dem König im roten Mantel eine Zwanzigernote hin.
    Der nahm sie mit seinem Fausthandschuh entgegen und steckte sie in einen Sack, den der Grüne unter seiner
Pelerine hervorzog. Die drei schauten einander wieder an, der Blaue summte einen tiefen Ton, den die andern aufnahmen, dann stimmten sie den Vers an:
    »Heut hat die alte Welt ein End
    Wir danken dir für deine Spend!«
    Sie sangen den Vers einstimmig, drehten sich dann langsam um und schlugen wieder den Weg zum Dorf hinunter ein, und während sie im Schneegeflock abwärtsschritten, sangen sie den Vers nochmals und nochmals, immer einen Ton höher, Balz zählte mit, ohne zu wollen, achtmal hatten sie ihn gesungen, als er das Fenster schloss.
    Balz schauderte es, halb vor Kälte, halb vor Rührung.
    »Heut hat die alte Welt ein End« … er hatte das Gefühl, mit diesem Satz sei er persönlich gemeint.
    Er ging zur Herdplatte, um sich einen Tee zu machen, denn nach dem kurzen Aufenthalt draußen, für den er keine Jacke angezogen hatte, fror er bis ins Innerste. Sollte sein Steißbein eingeschlafen sein, war es jetzt erwacht, er spürte einen Reiz, als stecke eine Nadel darin. Er rieb sich, aber es wurde nicht besser.
    Im Küchenschrank hatte er eine Dose mit Bergkräutertee gefunden, er füllte zwei Löffel davon in ein Tee-Ei und schaute zu, wie dieses blubbernd in der großen Tasse versank. Dann setzte er sich wieder in den Rohrstuhl.
    Die alte Welt … Er versuchte es nochmals mit dem Schreibblock, zog einen senkrechten Strich in der Mitte über die ganze Seite, schrieb links oben als Titel »Alte
Welt« und rechts »Neue Welt«. Gerade hatte er unter »Alte Welt« das Wort »Beruf« notiert und mit einem Fragezeichen versehen, da hörte er wieder die Trommelschläge. Sie näherten sich, aber ohne Gesang. Balz stand auf und schaute zum Fenster hinaus.
    Ein leichter Schwindel erfasste ihn.
    Der vierte König stapfte langsam den Weg hoch, zog seinen Hornschlitten hinter sich her und schlug dazu auf seine große Bauchtrommel. Seine Krone, das sah Balz erst jetzt, war ein goldenes Diadem mit einem einzigen Zacken, in den ein rubinroter Stein gefasst war. Er stellte die Trommel neben die Haustür wie jemand, der von der Arbeit nach Hause kommt, schälte sich aus dem Zugriemen und stellte den Schlitten, von dem er noch mit seinen weißen Handschuhen den Schnee wegstrich, an die Hauswand. Dann schüttelte er sich, klopfte mit den Schuhen gegen die Mauer, öffnete die Haustür und trat ein.
    Balz ging

Weitere Kostenlose Bücher