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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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des Anzugs mit Weste zu erkennen, und sah an dem schweren Material, dass er aus dem Norden kam, wo es im Herbst kälter ist.
    »Hallo«, sagte er mit einem Lächeln, das ein bisschen verrückt, zugleich aber sehr liebenswert wirkte.
    Unwillkürlich lächelte Augusta zurück. Gleich darauf aber nahm ihr Gesicht einen würdevoll-unverbindlichen Ausdruck an. »Henry kommt erst am frühen Abend aus New Orleans zurück.«
    »Danke, dann komme ich später noch einmal wieder.« Er reichte ihr eine weiße Geschäftskarte.
    Sie war entzückt von der kleinen Geste, die sie an die Gentlemen erinnerte, die in der Generation ihres Vaters Visitenkarten zu hinterlassen pflegten.
    Er deutete auf ihre Einkaufstüte. »Darf ich Ihnen behilflich sein? Sie sieht ziemlich schwer aus.«
    Offenbar war er aus guter Familie, oder zumindest hatte seine Mutter ihm Manieren beigebracht. So wie er sprach, ordnete sie ihn der nordöstlichen Ecke des Landes zu.
    Augusta gab ihm ihre braune Tüte und amüsierte sich über sein überraschtes Gesicht, als er merkte, wie schwer die Tüte tatsächlich war. Sie hatte schon Schwereres geschleppt. In dem leichten Baumwollkleid steckte ein kräftiger Körper, den sie fit hielt, indem sie sich ausschließlich auf ihre Beine als Transportmittel verließ und ihre Lasten selbst trug.
    Sie las, was auf der Karte stand: CHARLES BUTLER – BE-RATER. An dem Namen hing eine ganze Zeile akademischer Titel wie Güterwagen an einer Lokomotive.
    Auch Bildung konnte man übertreiben …
    Und jetzt erfuhr sie, dass diesem Mr. Butler bedauerlicherweise eine gute Freundin abhanden gekommen war. »Womöglich haben Sie sie gesehen?« Mit der freien Hand zog er eine gefaltete Zeitung aus der Tasche.
    Augusta schlug das Blatt auf und sah ein großes, grobkörniges Foto eines steinernen Engels. Die Seite stammte aus der letzten Sonntagsausgabe des Louisiana Herald, in dem ein Artikel über berühmte Gärten an der River Road gestanden hatte. In der Bildunterschrift war der Bildhauer genannt, Henry Roth, berühmter Sohn der Stadt Dayborn.
    »Die Statue wurde vor fünf Monaten in Auftrag gegeben«, sagte er. »Sie sieht meiner Bekannten so ähnlich, dass ich vermute, sie hat ihm dafür Modell gestanden.« Er holte das Foto einer jungen Frau mit blonden Haaren und grünen Augen heraus. Sowohl der steinerne Engel als auch das Hochglanzfoto einer lebenden Frau waren getreue Abbilder eines unvergesslichen Gesichts.
    »Sie war hier. Ich habe sie gekannt.« Augusta legte das Zeitungsblatt wieder zusammen und gab es ihm zurück. »Sie lebt nicht mehr. Es war ein sehr plötzlicher Tod.«
    In dem langen Schweigen sah sie, wie Fragen über Fragen in dem Mann aufstiegen und zu seinen Lippen drängten. Doch sie hatte ihn gerade verwundet, schwer und absichtsvoll, und er brachte kein Wort heraus.
    Mit dem Tod konnte er offenbar nicht gut umgehen.
    »Sie können Ihren Wagen hier stehen lassen.« Sie wandte sich wieder der Straße zu und bedeutete ihm, ihr zu folgen. »Zu meinem Haus sind es nur noch ein paar Schritte über den Friedhof.«
    Langsam und mechanisch ging er mit ihren Lebensmitteln hinter ihr her über den schmalen Pfad, der zu einem weiten Kreis von Bäumen und einer Stadt kleiner weiß gekalkter Häuser führte, deren jedes einen Toten beherbergte. Die Gräber krönten steinerne Kreuze und schmiedeeiserne Kruzifixe. Die nicht ganz so imposanten Gräber waren durch einfache Betonplatten gekennzeichnet, die verhindern sollten, dass der morastige Boden die Toten wieder hergab.
    Auf vielen Grabstätten lagen als bunte Farbtupfer welke Sträuße, Überbleibsel von Allerheiligen, an dem die Einheimischen ihren toten Angehörigen Blumen gebracht hatten. Am selben Tag, an dem die junge Fremde angekommen und Babe Laurie unter Hinterlassung eines hässlichen roten Flecks am Straßenrand gewaltsam aus dieser Welt geschieden war.
    Noch immer sprachlos, ging Augustas hoch gewachsener Begleiter neben ihr her. Der unablässige Gesang der Vögel übertönte das Knirschen der Schritte auf dem Kies. Sein Schockzustand war für sie ein Zeichen guten Charakters. Offenbar hatte er die Wahrheit gesagt. Er suchte nach einer Bekannten, die ihm am Herzen lag.
    Aber man kann nie wissen, dachte sie, als sie ihn zu einer Statue führte, die das gleiche Gesicht wie die auf dem Zeitungsausschnitt hatte, nur dass diese hier in einer anderen Stellung dargestellt war und kein Schwert in der Hand hielt.
    »Das ist ihr Grab«, sagte Augusta, als sie sich von

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