Der Steppenwolf
bräunlich und dunkelhaarig gewesen. Nein, ich wußte nicht, an wen dies fremde Mädchen mich erinnerte, ich wußte nur, es war etwas aus sehr früher Jugend, aus der Knabenzeit.
»Langsam«, rief sie, »langsam! Du kannst also nicht tanzen? Überhaupt nicht? Nicht einmal einen Onestep? Und dabei behauptest du, weiß Gott, welche Mühe du dir mit dem Leben gegeben habest! Da hast du geflunkert. Junge, das sollte man in deinem Alter nicht mehr tun. Ja, wie kannst du sagen, du habest dir mit dem Leben Mühe gegeben, wenn du nicht einmal tanzen willst?«
»Wenn ich es doch nicht kann! Ich habe es nie gelernt.«
Sie lachte.
»Aber lesen und schreiben hast du gelernt, gelt, und rechnen und wahrscheinlich auch noch Latein und Französisch und allerlei solche Sachen? Ich will wetten, du bist zehn oder zwölf Jahre in der Schule gesessen und hast womöglich auch noch studiert und hast vielleicht sogar den Doktortitel und kannst Chinesisch oder Spanisch. Oder nicht? Also. Aber das bißchen Zeit und Geld für ein paar Tanzstunden hast du nicht aufgebracht! Na!«
»Es waren meine Eltern«, rechtfertigte ich mich, »sie haben mich Latein und Griechisch und all das Zeug lernen lassen. Aber tanzen lernen ließen sie mich nicht, es war bei uns nicht Mode, meine Eltern haben selber nie getanzt.«
Ganz kalt sah sie mich an, voller Verachtung, und wieder sprach aus ihrem Gesicht etwas, was mich an frühe Jugendzeiten erinnerte.
»So, also deine Eltern müssen schuldig sein! Hast du sie auch gefragt, ob du heut abend in den Schwarzen Adler gehen dürfest? Hast du? Sie sind schon lange tot, sagst du? Na also! Wenn du aus lauter Folgsamkeit in deiner Jugend nicht hast tanzen lernen wollen – meinetwegen! Obwohl ich nicht glaube, daß du damals so ein Musterknabe warst. Aber nachher – was hast du denn nachher alle die Jahre lang getrieben?«
»Ach«, gestand ich, »ich weiß es selber nicht mehr. Ich habestudiert, Musik gemacht, Bücher gelesen, Bücher geschrieben, Reisen gemacht –«
»Merkwürdige Ansichten, die du vom Leben hast! Du hast also immer schwierige und komplizierte Sachen getrieben, und die einfachen hast du gar nicht gelernt? Keine Zeit? Keine Lust? Na meinetwegen, Gott sei Dank bin ich nicht deine Mutter. Aber dann so tun, als hättest du das Leben durchprobiert, und nichts daran gefunden, nein, das geht nicht!«
»Schelten Sie nicht!« bat ich. »Ich weiß schon, daß ich verrückt bin.«
»Ach was, sing mir keine Lieder vor! Du bist keineswegs verrückt, Herr Professor, du bist mir sogar viel zu wenig verrückt! Du bist so auf eine dumme Art gescheit, scheint mir, richtig wie ein Professor. Komm, iß noch ein Brötchen! Nachher erzählst du weiter.«
Sie besorgte mir nochmals ein Brötchen, tat etwas Salz daran, strich ein wenig Senf darauf, schnitt ein Stückchen für sich selber ab und hieß mich essen. Ich aß. Ich hätte alles getan, was sie mich geheißen hätte, alles außer Tanzen. Es tat ungeheuer wohl, jemand zu gehorchen, neben jemand zu sitzen, der einen ausfragte, einem befahl, einen ausschalt. Hätte der Professor oder seine Frau das vor ein paar Stunden getan, es wäre mir viel erspart geblieben. Aber nein, es war gut so, es wäre mir viel entgangen!
»Wie heißt du eigentlich?« fragte sie plötzlich.
»Harry.«
»Harry? Ein Bubenname! Und ein Bub bist du auch, Harry, trotz der paar grauen Flecken im Haar. Du bist ein Bub, und du solltest jemand haben, der ein wenig nach dir schaut. Vom Tanzen sage ich nichts mehr. Aber wie du frisiert bist! Hast du denn keine Frau, keinen Schatz?«
»Ich habe keine Frau mehr, wir sind geschieden. Einen Schatz hab ich schon, aber er wohnt nicht hier, ich sehe ihn nur selten, wir kommen nicht sehr gut miteinander aus.«
Sie pfiff leise durch die Zähne.
»Du scheinst ein recht schwieriger Herr zu sein, daß keine bei dir bleibt. Aber sag jetzt: was war denn heut abend Besonderes los, daß du so vergeistert in der Welt herumgelaufen bist? Krach gehabt? Geld verspielt?«
Das war nun schwierig zu sagen.
»Sehen Sie«, fing ich an, »es war eigentlich eine Kleinigkeit. Ich war eingeladen, bei einem Professor – ich selber bin aber keiner –, und eigentlich hätte ich gar nicht hingehen sollen, ich bin es nicht mehr gewohnt, so bei Leuten zu sitzen und zu schwatzen, ich habe es verlernt. Ich ging auch schon in das Haus hinein mit dem Gefühl, es werde nicht gutgehen – als ich meinen Hut aufhängte, kam mir schon der Gedanke, ich würde ihn vielleicht
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