Der Steppenwolf
in die Zähne, in die Hände,
Das ist das Schönste, was es gibt.
Ich wäre der Holden so von Herzen gut,
Fräße mich tief in ihre zärtlichen Keulen,
Tränke mich satt an ihrem hellroten Blut,
Um nachher die ganze Nacht einsam zu heulen.
Sogar mit einem Hasen war ich zufrieden,
Süß schmeckt sein warmes Fleisch in der Nacht—
Ach, ist denn alles von mir geschieden,
Was das Leben ein bißchen fröhlicher macht?
An meinem Schwanz ist das Haar schon grau,
Auch kann ich nicht mehr ganz deutlich sehen,
Schon vor Jahren starb meine liebe Frau.
Und nun trab ich und träume von Rehen,
Trabe und träume von Hasen,
Höre den Wind in der Winternacht blasen,
Tränke mit Schnee meine brennende Kehle,
Trage dem Teufel zu meine arme Seele.
Da hatte ich nun zwei Bildnisse von mir in Händen, das eine ein Selbstbildnis in Knittelversen, traurig und angstvoll wie ich selbst, das andre kühl und mit dem Anschein hoher Objektivität gezeichnet, von einem Außenstehenden, von außen und von oben gesehen, geschrieben von einem, der mehr und doch auch weniger wußte als ich selbst. Und diese beiden Bildnisse zusammen, mein schwermütig stammelndes Gedicht und die kluge Studie von unbekannter Hand, taten mir 57
beide weh, hatten beide recht, zeichneten beide ungeschminkt meine trostlose Existenz, zeigten beide deutlich die Unerträglichkeit und Unhaltbarkeit meines Zustandes. Dieser Steppenwolf mußte sterben, er mußte mit eigener Hand seinem verhaßten Dasein ein Ende machen — oder er mußte, geschmolzen im Todesfeuer einer erneuten Selbstschau, sich wandeln, seine Maske abreißen und eine neue Ichwerdung begehen. Ach, dieser Vorgang war mir nicht neu und unbekannt, ich kannte ihn, ich hatte ihn mehrmals schon erlebt, jedesmal in Zeiten der äußersten Verzweiflung. Jedesmal war bei diesem schwer aufwühlenden Erlebnis mein jeweiliges Ich in Scherben zerbrochen, jedesmal hatten Mächte der Tiefe es aufgerüttelt und zerstört, jedesmal war dabei ein gehegtes und besonders geliebtes Stück meines Lebens mir untreu geworden und verlorengegangen. Das eine Mal hatte ich meinen bürgerlichen Ruf samt meinem Vermögen verloren und hatte lernen müssen, auf die Achtung derer zu verzichten, die bisher vor mir den Hut gezogen hatten. Das andre Mal war über Nacht mein Familienleben zusammengebrochen; meine geisteskrank gewordene Frau hatte mich aus Haus und Behagen vertrieben, Liebe und Vertrauen hatte sich plötzlich in Haß und tödlichen Kampf verwandelt, mitleidig und verächtlich blickten die Nachbarn mir nach. Damals hatte meine Vereinsamung ihren Anfang genommen. Und wieder um Jahre, um schwere bittere Jahre später, nachdem ich mir . in strenger Einsamkeit und mühsamer Selbstzucht ein neues, asketischgeistiges Leben und Ideal gebaut und wieder eine gewisse Stille und Höhe des Lebens erreicht hatte, hingegeben an abstrakte Denkübung und an streng geregelte Meditation, da war auch diese Lebensgestaltung wieder zusammengebrochen und hatte ihren edlen hohen Sinn mit einemmal verloren; auf wilden anstrengenden Reisen riß es mich aufs neue durch die Welt, neue Leiden türmten sich und neue Schuld. Und jedesmal war dem Abreißen einer Maske, dem Zusammenbruch eines Ideals diese grausige Leere und Stille vorangegangen, diese tödliche Einschnürung, Vereinsamung und Beziehungslosigkeit, diese leere öde Hölle der Lieblosigkeit und Verzweiflung, wie ich sie auch jetzt wieder zu durchwandern hatte.
Bei jeder solchen Erschütterung meines Lebens hatte ich am Ende irgend etwas gewonnen, das war nicht zu leugnen, etwas an Freiheit, an Geist, an Tiefe, 58
aber auch an Einsamkeit, an Unverstandensein, an Erkältung. Von der bürgerlichen Seite her gesehen war mein Leben, von jeder solchen Erschütterung zur ändern, ein beständiger Abstieg, eine immer größere Entfernung vom Normalen, Erlaubten, Gesunden gewesen. Ich war im Lauf der Jahre berufslos, familienlos, heimatlos geworden, stand außerhalb aller sozialen Gruppen, allein, von niemand geliebt, von vielen beargwöhnt, in ständigem, bitterm Konflikt mit der öffentlichen Meinung und Moral, und wenn ich auch noch im bürgerlichen Rahmen lebte, war ich doch inmitten dieser Welt mit meinem ganzen Fühlen und Denken ein Fremder. Religion, Vaterland, Familie, Staat waren mir entwertet und gingen mich nichts mehr an, die Wichtigtuerei der Wissenschaft, der Zünfte, der Künste ekelte mich an; meine Anschauungen, mein Geschmack, mein ganzes Denken, mit dem ich einst als
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