Der Steppenwolf
ich entzündet, alle, die mich entzündet hatten, alle, um die ich geworben, alle, an die ich mich verlangend geschmiegt, alle, denen ich mit Liebessehnsucht nachgeblickt hatte, waren zusammengeschmolzen und eine 149
einzige geworden, die in meinen Armen blühte.
Lange dauerte dieser Hochzeitstanz. Zweimal, dreimal erlahmte die Musik, ließen die Bläser ihre Instrumente sinken, stand der Klavierspieler vom Flügel auf, schüttelte der Primgeiger versagend den Kopf, und jedesmal wurden sie vom flehenden Taumel der letzten Tänzer nochmals entflammt, spielten nochmals, spielten schneller, spielten wilder. Dann — wir standen noch verschlungen und schwer atmend vom letzten gierigen Tanz — schlug mit einem Knall der Klavierdeckel zu, fielen unsre Arme müde herab wie die der Bläser und Geiger, und der Flötist packte blinzelnd seine Flöte ins Futteral, Türen gingen auf, kalte Luft strömte herein, Diener erschienen mit Mänteln, und der Barkellner drehte das Licht ab. Gespenstisch und schauerlich floh alles auseinander, fröstelnd drängten sich die Tänzer, die eben noch hellauf geglüht, in ihre Mäntel und schlugen die Kragen hoch. Hermine stand bleich, aber lächelnd. Langsam hob sie die Arme und strich sich das Haar zurück, ihre Achselhöhle glänzte im Lichte auf, ein dünner unendlich zarter Schatten lief von da zur verdeckten Brust, und die kleine schwebende Schattenlinie schien mir all ihren Reiz, alle Spiele und Möglichkeiten ihres schönen Leibes zusammenzufassen, •wie ein Lächeln.
Wir standen und blickten einander an, die letzten im Saal, die letzten im Haus.
Irgendwo unten hörte ich eine Tür schlagen, ein Glas zerschellen, ein Gekicher sich verlieren, vermischt mit dem bösen, eiligen Lärm ankurbelnder Automobile.
Irgendwo, in einer unbestimmbaren Ferne und Höhe, hörte ich ein Gelächter klingen, ein ungemein helles und frohes, dennoch schauerliches und fremdes Gelächter, ein Lachen wie aus Kristall und Eis, hell und strahlend, aber kalt und unerbittlich. Woher doch klang dies wunderliche Lachen mir bekannt? Ich fand es nicht.
Wir beide standen und blickten einander an. Einen Augenblick lang wurde ich wach und nüchtern, fühlte ungeheure Müdigkeit mich von hinten überfallen, fühlte die durchschwitzten Kleider widerlich feucht und lau um mich hangen, sah meine Hände rot und dickgeädert aus zerdrückten und verschwitzten Manschetten hervorkommen. Aber sofort war das wieder vorbei, ein Blick Herminens löschte es aus. Vor ihrem Blick, aus dem meine eigene Seele mich anzuschauen schien, sank alle Wirklichkeit zusammen, auch die Wirklichkeit 150
meines sinnlichen Verlangens nach ihr. Verzaubert blickten wir einander an, blickte meine arme kleine Seele mich an.
«Du bist bereit?» fragte Hermine, und ihr Lächeln verflog, wie der Schatten über ihrer Brust verflogen war. Fern und hoch verklang jenes fremde Lachen in unbekannten Räumen.
Ich nickte. 0 ja, ich war bereit.
Jetzt erschien in der Tür Pablo, der Musikant, und leuchtete uns aus den frohen Augen an, welche eigentlich Tieraugen waren, aber Tieraugen sind immer ernst, und seine lachten immer, und ihr Lachen machte sie zu Menschenaugen. Mit all seiner herzlichen Freundlichkeit winkte er uns zu. Er hatte eine buntseidene Hausjacke angetan, über deren roten Aufschlägen sein durchweichter Hemdkragen und sein übermüdetes bleiches Gesicht merkwürdig welk und fahl erschien, aber die strahlenden schwarzen Augen löschten das aus. Auch sie löschten die 'Wirklichkeit aus, auch sie zauberten.
Wir folgten seinem Wink, und unter der Tür sagte er leise zu mir: «Bruder Harry, ich lade Sie zu einer kleinen Unterhaltung ein. Eintritt nur für Verrückte, kostet den Verstand. Sind Sie bereit?» Wieder nickte ich.
Lieber Kerl! Zart und sorglich nahm er uns am Arm, Hermine rechts, mich links, und führte uns über eine Treppe hinan in ein kleines rundes Zimmer, das war von oben bläulich erleuchtet und beinahe ganz leer, es war nichts darin als ein kleiner runder Tisch und drei Sessel, in die wir uns setzten.
Wo waren wir? Schlief ich? War ich zu Hause? Saß ich in einem Auto und fuhr? Nein, ich saß im blau erleuchteten runden Raum, in einer verdünnten Luft, in einer Schicht von sehr undicht gewordener Wirklichkeit. Warum war denn Hermine so bleich? Warum sprach Pablo so viel? War nicht vielleicht ich es, der ihn sprechen machte, der aus ihm sprach? Blickte nicht auch aus seinen schwarzen Augen nur meine eigene Seele mich an, der
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