Der Steppenwolf
mit. Ich tanzte ununterbrochen, mit jeder Frau, die mir eben in den Weg lief, mit ganz jungen Mädchen, mit blühenden jungen Frauen, mit sommerlich Vollreifen, mit wehmütig verblühenden: von allen entzückt, lachend, glücklich, strahlend. Und als Pablo mich so strahlen sah, mich, den er immer als einen sehr beklagenswerten armen Teufel angesehen hatte, da blitzten seine Augen mich glückselig an, er stand begeistert von seinem Orchesterstuhl auf, stieß heftig in sein Horn, stieg auf den Stuhl, stand oben und blies mit vollen Backen und wiegte sich und sein Instrument dazu wild und selig im Takt des Yearning, und ich und meine Tänzerin warfen ihm Kußhände zu und sangen laut mit. Ach, dachte ich zwischenein, mag mit mir geschehen, was da wolle, einmal bin doch auch ich glücklich gewesen, strahlend, meiner selbst entbunden, ein Bruder Pablos, ein Kind.
Das Zeitgefühl war mir verlorengegangen, ich weiß nicht, wieviel Stunden oder Augenblicke dies Rauschglück dauerte. Auch bemerkte ich es nicht, daß das Fest, je glühender es wurde, sich auf desto engeren Raum zusammenzog. Die meisten waren schon fortgegangen, in den Korridoren war es still geworden, und viele der Lichter waren erloschen, das Treppenhaus lag ausgestorben, in den oberen Sälen war eine Musikkapelle um die andere verstummt und weggegangen; nur im Hauptsaal und in der Hölle unten tobte noch, beständig an Glut sich steigernd, der bunte Festrausch. Da ich mit Hermine, dem Jüngling, nicht tanzen durfte, hatten wir uns immer nur in Tanzpausen flüchtig wieder getroffen und begrüßt, und zuletzt war sie mir ganz und gar entschwunden, nicht dem Auge nur, sogar den Gedanken. Es gab keine Gedanken mehr. Aufgelöst schwamm ich im trunkenen Tanzgewühl, von Düften, Tönen, Seufzern, Worten berührt, von fremden Augen begrüßt, befeuert, von fremden Gesichtern, Lippen, Wangen, Armen, Brüsten, Knien umgeben, von der Musik wie eine Welle im Takt hin und wider geworfen.
Nun sah ich plötzlich, einen Augenblick halb erwachend, unter den letzten, noch gebliebenen Gästen, die jetzt einen der kleinen Säle überfüllten, den letzten, in dem noch Musik erklang — nun sah ich plötzlich eine schwarze Pierrette mit 148
weißgemaltem Gesicht, ein schönes frisches Mädchen, als einzige mit einer Gesichtsmaske bedeckt, eine entzückende Figur, die ich in dieser ganzen Nacht noch nie gesehen hatte. Während allen ändern die späte Stunde anzusehen war, den roten erhitzten Gesichtern, den zerdrückten Kostümen, den verwelkten Kragen und Krausen, stand die schwarze Pierrette frisch und neu mit dem weißen Gesicht hinter der Maske, in faltenlosem Kostüm, mit unberührter Krause, blanken Spitzenmanschetten und frischer Frisur. Es zog mich zu ihr, ich umfaßte sie, zog sie in den Tanz, duftend kitzelte ihre Krause mein Kinn, streifte ihr Haar meine Wange, zarter und inniger als jede andre Tänzerin dieser Nacht kam ihr straffer junger Leib meinen Bewegungen entgegen, wich ihnen aus, zwang und lockte sie spielend zu immer neuen Berührungen. Und plötzlich, während ich mich im Tanzen niederbeugte und ihren Mund mit meinem suchte, lächelte dieser Mund überlegen und altvertraut, ich erkannte das feste Kinn, erkannte glücklich die Schultern, die Ellbogen, die Hände. Es war Hermine, nicht mehr Hermann, umgekleidet, frisch, leicht parfümiert und gepudert. Glühend trafen unsre Lippen zusammen, einen Augenblick schmiegte ihr ganzer Leib, bis hinab zu den Knien, sich verlangend und hingegeben an mich an, dann entzog sie mir ihren Mund und tanzte zurückhaltend und fliehend. Als die Musik abbrach, blieben wir umschlungen stehen, alle die entzündeten Paare rings um uns klatschten, stampften, schrien, peitschten die erschöpfte Kapelle zur Wiederholung des Yearning auf. Und nun fühlten wir alle plötzlich den Morgen, sahen das fahle Licht hinter den Vorhängen, spürten das nahe Ende der Lust, ahnten die kommende Müdigkeit und stürzten uns blind, auflachend und verzweifelt nochmals in den Tanz, in die Musik, in die Lichtflut, schritten tobend im Takt, Paar an Paar gepreßt, fühlten noch einmal selig die große Woge über uns zusammenschlagen. In diesem Tanz ließ Hermine ihre Überlegenheit, ihren Spott, ihre Kühle fahren — sie wußte, daß sie nichts mehr zu tun brauche, um mich verliebt zu machen. Ich gehörte ihr. Und sie gab sich hin, im Tanz, im Blick, im Kuß, im Lächeln. Alle Frauen dieser fiebernden Nacht, alle, mit denen ich getanzt, alle, die
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