Der Steppenwolf
ihr gerade sucht. Es ist ein hübsches Bilderkabinett, lieber Freund, aber es würde Ihnen nichts nützen, es so zu durchlaufen, wie Sie sind. Sie würden durch das gehemmt und geblendet werden, was Sie gewohnt sind, Ihre Persönlichkeit zu nennen. Ohne Zweifel haben Sie ja längst erraten, daß die Überwindung der Zeit, die Erlösung von der Wirklichkeit, und was immer für Namen Sie Ihrer Sehnsucht geben mögen, nichts andres bedeuten als den Wunsch, Ihrer sogenannten Persönlichkeit ledig 153
zu werden. Sie ist das Gefängnis, in dem Sie sitzen. Und wenn Sie so, wie Sie sind, in das Theater träten, so sähen Sie alles mit den Augen Harrys, alles durch die alte Brille des Steppenwolfes. Sie werden darum eingeladen, sich dieser Brille zu entledigen und diese sehr geehrte Persönlichkeit freundlichst hier in der Garderobe abzulegen, wo sie auf Wunsch jederzeit wieder zu Ihrer Verfügung steht. Der hübsche Tanzabend, den Sie hinter sich haben, der Traktat vom Steppenwolf, schließlich noch das kleine Anregungsmittel, das wir eben zu uns genommen haben, dürfte Sie genügend vorbereitet haben. Sie, Harry, werden nach Ablegung Ihrer werten Persönlichkeit die linke Seite des Theaters zu Ihrer Verfügung haben, Hermine die rechte, im Innern können Sie sich beliebig wieder treffen. Bitte, Hermine, geh einstweilen hinter den Vorhang, ich möchte erst Harry einführen.»
Hermine verschwand nach rechts, an einem riesengroßen Spiegel vorbei, der die Rückwand vom Boden bis zur Wölbung bedeckte.
«So, Harry, nun kommen Sie und seien Sie recht guter Laune. Sie in gute Laune zu bringen. Sie lachen zu lehren, ist der Zweck dieser ganzen Veranstaltung — ich hoffe, Sie machen es mir leicht. Sie fühlen sich doch wohl?
Ja? Haben nicht etwa Angst? Also gut, sehr gut. Sie werden jetzt, ohne Angst und mit herzlichem Vergnügen, in unsre Scheinwelt eintreten, indem Sie sich durch einen kleinen Scheinselbstmord einführen, wie das so Sitte ist.»
Er zog wieder den kleinen Taschenspiegel hervor und hielt ihn mir vors Gesicht. Wieder blickte mir der wirre, wolkige, von der ringenden Wolfsgestalt durchflossene Harry entgegen, ein mir wohlbekanntes und wahrlich nicht sympathisches Bild, dessen Vernichtung mir keine Sorge bereiten konnte.
«Dieses entbehrlich gewordene Spiegelbild werden Sie jetzt auslöschen, lieber Freund, mehr ist nicht vonnöten. Es genügt, daß Sie, wenn Ihre Laune es zuläßt, dieses Bild mit einem aufrichtigen Lachen betrachten. Sie sind hier in einer Schule des Humors, Sie sollen lachen lernen. Nun, aller höhere Humor fängt damit an, daß man die eigene Person nicht mehr ernst nimmt.»
Fest blickte ich in das Spiegelein, Spiegelein in der Hand, in dem der Harrywolf seine Zuckungen vollführte. Einen Augenblick zuckte es in mir, tief innen, leise, aber schmerzlich, wie Erinnerung, wie Heimweh, wie Reue. Dann 154
wich die leichte Beklemmung einem neuen Gefühl, jenem ähnlich, das man empfindet, wenn aus dem mit Kokain betäubten Kiefer ein kranker Zahn gezogen worden ist, ein Gefühl von Erleichterung und tiefem Aufatmen und zugleich von Verwunderung, daß es so gar nicht weh getan hat. Und zu diesem Gefühl gesellte sich eine frische Aufgeräumtheit und Lachlust, der ich nicht widerstehen konnte, so daß ich in ein erlösendes Gelächter ausbrach.
Das trübe Spiegelbildchen zuckte auf und erlosch, die kleine runde Spiegelfläche war plötzlich wie verbrannt, war grau und rauh und undurchsichtig geworden. Lachend warf Pablo die Scherbe weg, rollend verlor sie sich am Boden des unendlichen Korridors.
«Gut gelacht, Harry», rief Pablo, «du wirst noch lachen lernen wie die Unsterblichen. Nun hast du endlich den Steppenwolf umgebracht. Mit Rasiermessern geht das nicht. Paß auf, daß er tot bleibt! Gleich wirst du die dumme Wirklichkeit verlassen können. Wir werden beim nächsten Anlaß Brüderschaft trinken. Lieber, nie hast du mir so gut gefallen wie heut. Und wenn du dann noch Wert darauf legst, dann können wir auch miteinander philosophieren und disputieren und über Musik und über Mozart und Gluck und Plato und Goethe sprechen, soviel du willst. Du wirst jetzt begreifen, warum es früher nicht ging. — Hoffentlich glückt es dir, und du wirst den Steppenwolf für heute los. Denn natürlich ist dein Selbstmord kein endgültiger; wir sind hier in einem magischen Theater, es gibt hier nur Bilder, keine Wirklichkeit. Suche dir schöne und heitere Bilder aus und zeige, daß du wirklich nicht mehr
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