Der Sternengott
Technicolonel, der seine groben Verschwörungsbeschuldigungen heraussprudelte, schien über etwas völlig Unbekanntes zu sprechen, von einer anderen Welt. Bösartige Sabotage? Eine Bombe in der Sub-Bahn, um den Planer und die Maschine zu diskreditieren?
Und was noch unsinniger war – er selbst , Gann, als Erzbösewicht mit dem radargehörnten Wachsergeanten als Komplizen?
Gann setzte sein Glas mit Vitamin-Fruchtsaft ab und humpelte zu dem Z-Mädchen hinüber, das in der Kantine Dienst tat.
Er zitterte. »Bitte!« flehte er. »Haben Sie das gesehen? Was soll das alles bedeuten?«
Sie lächelte ihn strahlend an. »Nun, nun! Ihre einzige Pflicht besteht darin, möglichst schnell wieder gesund zu werden. Sie müssen sich darauf vorbereiten, Ihren Dienst am System wieder aufzunehmen. Keine Fragen, keine Sorgen – nur Ruhe und Heilung.«
Die Antwort fiel ihm schwer. »Man hat in den Nachrichten gesagt, daß ich für den Sub-Bahn-Unfall verantwortlich sei. Das ist nicht wahr! Und der Sergeant, der meine Wächter befehligte, was ist mit ihm geschehen?«
Ihre klaren großen Augen verdunkelten sich einen Augenblick verwirrt. Doch sie hatte sich sehr schnell wieder unter Kontrolle. Sie konnte an ihren Befehlen keine Kritik üben; wenn man ihr auftrug, einen Systemfeind freundlich zu behandeln, mußte sie sich mit allen Kräften um ihn bemühen und nicht nach Gründen fragen.
Sie schüttelte langsam den Kopf, lächelte und führte Gann zu seinem Sofa zurück.
»Trinken Sie Ihren Saft«, sagte sie.
Für sie waren die Befehle, die das System ihr übermittelte, von Natur aus »gut« und »wahr«, weil das »Recht« und die »Wahrheit« allein vom System definiert wurden, überlegte Gann. Und im gleichen Augenblick war er sich auch irgendwie bewußt, daß diesem Gedanken etwas seltsam Gefährliches anhaftete, gefährlich für ihn und die gesamte Menschheit – denn wenn das süße und dumme Zusammengehörigkeits-Mädchen das System so ohne Gegenfrage akzeptierte, wie mußte es dann um die Millionen von ...
Er führte den Gedanken nicht zu Ende. Es hatte beinahe den Anschein, als wären er und General Wheeler und sogar der Planer – als wäre die gesamte Menschheit des Systems nicht klüger als ein solches Z-Mädchen.
Bald hatte er nicht mehr genügend Zeit, um solchen Überlegungen nachzuhängen, denn das Training begann, das ihn zur Vereinigung mit der Maschine führen sollte.
*
Dyadische Relation: Ich hasse Spinat. Ternäre Relation: Ich hasse Spinat, außer wenn er gut gewaschen ist. Quartäre Relation: Ich hasse Spinat, außer wenn er gut gewaschen ist, weil der Sand sich in meinen Zähnen festsetzt.
Durch Instruktionen und Bücher, durch das ständige Abspielen unterschwelliger Lernbänder bei Tag und Nacht begann sich Boysie Gann mit dem Kalkül der Maschinenaussagen vertraut zu machen, mit der Logik ihrer Reaktionen und Schaltungen, mit den geometrischen Lehren von Hubert und Ackermann und Boole. Konjunktionen und Disjunktionen, Axiome und Theoreme, doppelte Negationen und Metaangaben ... diese Begriffe wurden durch sein Gehirn geschwemmt. Er lernte zu transponieren und zu kommutieren. Er lernte den einfachen Satzbau und die gradlinige Grammatik der Maschinenprogrammierung, er lernte zwischen visuellen und motorischen Symbolen zu unterscheiden und er lernte auditorische Symbole zu erzeugen, die die fehlende Verbindung herstellten.
Stunden verbrachte er vor dem Oszillatorschirm und sang endlose Tonleitern in Vierteltonabständen.
Es gab weder Klassen noch Schulräume. Das einzige, was hier zählte, war das Studium, und es riß niemals ab. Gann erwachte mit dem Murmeln einer blechernen Tonbandstimme unter seinem Kopfkissen, aß beim Klang elektronischer Vierteltöne zu Mittag, fiel am Abend ins Bett, während ihm die Schemata einfacher und immer schwieriger werdender Computer-Programme in die Ohren geflüstert wurden.
Außerhalb des Trainingslagers gab es auch eine Welt, doch sie hatte für Gann völlig an Bedeutung verloren. Zuweilen erhaschte er Gesprächsfetzen seiner Kameraden oder der wenigen Menschen, mit denen er sonst zusammenkam – das Z-Mädchen, das ihn am Tisch bediente, die Wächter, die durch die Räume patrouillierten.
Doch er war zu sehr in Anspruch genommen, um diese Informationen zu einem Ganzen zu fügen.
Der Sternengott. Die Freiheitsbotschaft. Katastrophen unter der Erde. Raketenexplosionen im All. Das alles war nicht wichtig. Allein wichtig war sein Training.
Wenn er Zeit
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