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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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so einfach. Man legte ihm jedoch eindringlich nahe, von sich aus zu gehen. Dann würde man der Angelegenheit in seinem Interesse nicht zuviel Bedeutung beimessen und ihr auch nicht weiter nachgehen. In Wahrheit war es wohl eher so, daß sie den Skandal scheuten. Dafür mußte er ihnen vermutlich auch noch dankbar sein. Das war vor fünf Jahren gewesen. Monatelang hielt ihn der Schock in Atem, vielleicht war es auch Trauer. Er hatte seine Arbeit geliebt, ein geregeltes Einkommen, die Sicherheit im Alter, viel Bewegung an frischer Luft, Sommer wie Winter im Freien, den Kontakt mit Menschen, viele bekannte Gesichter, auch wenn sie mit den Jahren häufig gewechselt hatten. Aber es hätte schlimmer kommen können, viel schlimmer, das wußte er. Wenn er darüber nachdachte – in der ersten Zeit tat er nichts anderes –, wurde ihm übel. Er verfluchte sich für den Leichtsinn, für den einen Moment, in dem er sich hatte hinreißen lassen. Er schwor sich, daß es nie wieder vorkommen sollte, daß er sich von nun an eiserne Selbstdisziplin auferlegen würde. Dann lenkten ihn andere Dinge vorübergehend ab. Das Geld wurde knapp; eine Weile lebte er von seinen Ersparnissen. Als die aufgezehrt waren, verkaufte er die kleinen Kostbarkeiten, die sich in langen Jahren ange-sammelt hatten. Er ha tte immer sparsam gelebt und sich so ein wenig Luxus leisten können. Schöne Stücke! Von einigen Teilen konnte er sich jedoch nicht trennen. Eine Krawattennadel aus Gold mit einem eingefaßten Diamanten und ein Paar Manschettenknöpfe, die dazu gehörten. Diese herzugeben brachte er nicht über sich, obwohl sie ihm gewiß eine hübsche Summe gebracht hätten. Statt dessen trennte er sich von einer Sammlung auserlesener Zeichnungen; einige davon waren handsigniert. In ihren schlichten Rahmen hatten sie ganz besonders gewirkt und jahrelang eine Wand in seinem Wohnzimmer geschmückt. Sie zum Kauf anzubieten war für ihn eine Art persönlicher Untergang. Das war vor vier Jahren gewesen. Später war er sogar gezwungen, einen Großteil seiner Möbelstücke zu veräußern, um ein paar weitere Monate zu überbrücken. Die Nachbarn wurden stutzig. Er erzählte ihnen, daß er dabei sei, seine Wohnung aufzulösen. Es war ja abzusehen, daß er sie nicht mehr lange halten konnte. Er würde jetzt bald zu seiner Tochter ziehen, sagte er jedem, der ihn danach fragte. Und dann kündigte er beizeiten, um sich nicht auch noch die Blöße geben zu müssen, daß er die Miete schuldig blieb. Vorübergehend kam er in einer schäbigen Pension unter, hielt sich mit Botengängen mühsam über Wasser, saß den halben Tag in einem muffigen Zimmer, grübelte und wußte nicht, wie es weitergehen sollte. 
    Seine restliche Habe war in einem Lagerraum untergebracht, und gezwungenermaßen mußte er sich auch davon noch trennen. Das war vor drei Jahren gewesen. Natürlich gab es Gründe für seinen Abstieg, Gründe für die Beschwerde, die gegen ihn vorgebracht worden war, einen Grund hauptsächlich. Er rauchte nicht, trank nicht, lungerte nicht in Kneipen herum und pöbelte nicht die jungen Frauen auf der Straße an. Er war höflich, geduldig, zuverlässig, freundlich, zurückhaltend und hilfsbereit, ein unauffälliger Mann Mitte Fünfzig. Der Grund waren die Spielplätze und die spielenden Kinder in den Hausfluren. Er liebte Kinder, die kleinen Mädchen mit ihren prallen Beinen und den kurzen Röckchen. Immer trug er ein paar kleine Aufmerksamkeiten für sie in seinen Taschen. Sie waren so leicht zufriedenzustellen, konnten sich wirklich noch über Kleinigkeiten freuen. Über Schokoladeneier, die innen hohl und mit irgendeinem Krimskrams gefüllt waren. Die kleineren waren ganz wild darauf. Mit größeren hatte er sich nie abgegeben, jedenfalls nicht in seiner unmittelbaren Umgebung; sie redeten ihm zuviel. Auch mit den kleinen war er vorsichtig gewesen, hatte sie sorgfältig ausgesucht. Er hatte ihnen so ein Ei in die Hände gedrückt, ihnen über das Haar gestreichelt und, wenn sich die Gelegenheit dazu bot, auch einmal über die Beinchen. Aber viel weiter war er nicht gegangen, nicht bei Kindern, denen er häufig begegnete, die ihn kannten, seinen Namen wußten, jederzeit mit dem Finger auf ihn hätten zeigen können. Nur einmal hatte er sich hinreißen lassen, hatte sich völlig sicher dabei gefühlt, hatte geglaubt, es sei eine einmalige Chance, was sich ihm da bot. Zwei kleine Mädchen, nur zu Besuch und unbeaufsichtigt in einer Wohnung. Und ihm öffneten sie

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