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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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hatte etwas an sich, was ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Vielleicht war es nur der Ausdruck auf dem Gesicht, der ihm signalisierte, daß es auf einen Menschen wartete, der sich ein wenig Zeit nahm. Daß es sich nach Zärtlichkeiten sehnte, nach Liebe und Verständnis. Jedesmal, wenn er diesen Ausdruck sah, mußte er an seine eigene Tochter denken. Die hatte er hergeben müssen wie später die saubere Arbeit und die hübsche Wohnung, gerade in einem Alter, in dem Kinder ihm am liebsten waren. Seitdem träumte er davon, daß es eines Tages mit einem Kind wieder so werden könnte, wie es damals gewesen war. Da hatte er sich nicht den Kopf zerbrechen müssen über irgendwelche Risiken. Da war er glücklich gewesen, einfach nur glücklich und zufrieden. Meist schlief er schlecht, wenn er sich zu lange mit den Erinnerungen an diese Zeit beschäftigt hatte, schreckte aus wüsten Träumen auf. Oft war es die Stimme seiner Frau, die ihn gellend und keifend an das Bett seiner Tochter rief. Doch wenn er sich über das Bett und das weinende Kind beugen wollte, gab sie ihm einen Stoß vor die Brust. Heulte, brüllte, fauchte wie ein Tier:
    »Hau bloß ab, du Schwein. Was hast du mit ihr gemacht? Ich bring dich um, wenn du sie noch einmal anrührst!« Manchmal war es auch ein junger Kerl. Onkel hatte seine Tochter den genannt, Onkel! Und sie hatte auf dessen Schoß gesessen, sich vertrauensvoll an dessen Brust geschmiegt, hatte für ihn nur noch einen ängstlichen Blick. Aufgehetzt! Natürlich, aufgehetzt, gegen den eigenen Vater. Keine Erinnerung mehr an die Liebe, die Fürsorge, die Nächte in seinem Bett, die zahllosen Windeln, die er gewechselt hatte. Und der Kerl schüttelte die Faust gegen ihn, während er mit einem Arm das Kind an sich preßte.
    »Mach bloß, daß du rauskommst, ehe ich mich vergesse.« Das waren Dinge, die ihn verfolgten und zur Vorsicht mahnten, dagegen nahm sich die Auseinandersetzung mit Vorgesetzten noch harmlos aus. Was seine Frau anging, da hatte er niemals ernstliche Befürchtungen gehabt. Mochte sie ihn auch beschimpft haben, wenn sie alleine waren. Einem Fremden gegenüber hätte sie die Zähne nicht auseinander bekommen, hätte sich geschämt. Aber der Kerl damals, jung und kräftig, vor dem hatte er einen Heidenrespekt gehabt. Und nicht nur vor dem. Es war schon gut fünfzehn Jahre her, da hatte ihn so einer geschlagen, sogar noch mit Füßen nach ihm getreten, als er schon am Boden lag. Seitdem plagten ihn gewisse Ängste. Das Kind vor dem Schaufenster hatte schließlich Eltern, eine Mutter. Und einen Vater! Vielleicht auch einen, der nicht lange fackelte, der zuschlug und mit Füßen trat, ohne erst nach der Polizei zu rufen. Wenn es nicht ausgerechnet vor der Tierhandlung gestanden, wenn er es statt dessen auf einem Spielplatz getroffen hätte, da hätte er vielleicht versuchen können, es einmal so zu machen wie mit dem kleinen Mädchen, das er gekannt hatte, als er noch in der schäbigen Pension lebte. Ein so rührend anhängliches Kind. Bereitwillig und folgsam, ahnungslos und zärtlich, fast wie seine Tochter damals. Nachdem er sich ein paarmal mit ihm unterhalten hatte, war es immer ohne Zögern mit ihm gegangen. Er hatte nur am Rand des Spielplatzes erscheinen müssen. Nicht winken, nicht rufen, was andere hätte aufmerksam machen können. Einfach nur dastehen für einen Moment, sich dann umdrehen und langsam weggehen. Dann war es ihm auch schon gefolgt, war eine Weile hinter ihm hergelaufen, weil er ihm erklärt hatte, es gehöre zu ihrem Spiel, daß es eine Weile hinter ihm herlief. Und er hatte ihm auch gesagt, wenn es nur einmal, nur ein einziges Mal, seiner Mutter gegenüber ein Wort erwähne, dann käme er nie mehr, dann gäbe es nie wieder ein Geschenk, nie wieder ein Spiel. Das Kind hatte sich an all das gehalten. Erst wenn sie weit genug von anderen Menschen und bewohnten Häusern gewesen waren, wenn nicht mehr die Gefahr bestand, daß ihnen jemand begegnete oder zuschaute, hatte er gewartet, bis es neben ihm war, nach seiner Hand griff und daran zog. Es hatte immer genau gewußt, daß er ein kleines Mitbringsel in der Tasche trug. Und irgendwo hatte er es dann auf seinen Schoß genommen. Es hatte immer gekichert, wenn er es kitzelte. Und es hatte auch gekichert, wenn es ihn dann kitzeln sollte. Anfangs mußte er ihm dabei die Hände noch führen, ehe es begriff, daß es fester zupacken mußte. Schöne Wochen, bis es dann eines Tages weinte, sogar schrie, weil er sich nicht

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