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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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ich ihm das nicht geglaubt hatte, weil ich die klebrige Feuchtigkeit auf dem Pullover entdeckte. Daß mir das jedoch so ungeheuerlich vorkam, daß ich es mir einfach nicht vorstellen konnte. Obwohl er meiner Tochter auch gleich ein paar großartige Geschenke versprochen hatte und ihr immerzu irgend etwas anbot. Zum Beispiel das Baden in seiner Wanne. Und daß ich dagegen gewesen war. Strikt dagegen. Ich erzählte ihnen, daß ich am Dienstag abend zu Herrn Genardy gesagt hatte, er müsse wieder ausziehen. Daß ich gestern abend in der Wohnung gewesen war, um nachzusehen, ob er schon ausgezogen war. Daß ich bei der Gelegenheit einen Umschlag mit Fotos gefunden hatte und ein Höschen von meiner Tochter. Ich erzählte ihnen auch, daß ich erst vor ein paar Stunden mit einem Polizisten über meinen Verdacht gesprochen hatte. Daß ich gleich die Polizei alarmiert hatte, als ich erfuhr, daß Herr Genardy sie mitgenommen hatte. Daß ich dann ins Haus kam und ein Geräusch von oben hörte. Daß ich mir den Ersatzschlüssel genommen hatte, um nachzusehen. Und daß ich mich gar nicht daran erinnern konnte, was dann noch passiert war. Sie glaubten mir das auch.
    Es gab natürlich eine Untersuchung. Dabei wurde noch einmal festgestellt, was bereits der erste Augenschein gezeigt hatte. Eine reine Notwehrsituation, noch dazu unter starker seelischer Anspannung, eine emotionale Ausnahmesituation, sagten sie dazu. Ich habe mir trotzdem eine Menge anhören müssen, weil ich nicht gleich bei den ersten Anzeichen die Polizei informiert hatte. Welche Anzeichen denn? Hätte ich ihnen etwa von dem Braunen erzählen sollen? Oder von der Sache auf dem Friedhof? Von Hedwigs Tochter, die Nacht für Nacht an Hedwigs Bett erschien, um zu fragen, wo Hedwig gewesen war? Ich jedenfalls war dagewesen, als es darauf ankam. Und außer mir weiß nur Günther, daß ich nicht aus reiner Notwehr gehandelt habe. Ihm habe ich zwangsläufig erklären müssen, wie ich in die Wohnung gekommen bin. Günther war mehr als nur wütend auf mich, weil ich ihm meinen ersten Besuch dort oben, weil ich ihm die Fotos verschwiegen hatte. Hätte ich nicht geschwiegen, sagte er, wäre Nicole vieles erspart geblieben. Ja, das wäre es wohl. Nicoles Verletzungen sind geheilt. Sie weiß gar nicht, was mit ihr geschehen ist. Die Ärzte meinten, es sei besser für sie, wenn wir es ihr nicht gleich sagen, vielleicht später, irgendwann einmal. Wir haben ihr gesagt, sie sei in der Wanne eingeschlafen. Daran erinnert sie sich auch noch, daß sie müde wurde. Und wir, ich habe ihr gesagt, daß Herr Genardy sie aus der Wanne heben wollte, dabei ausrutschte, mit ihr hinfiel, daß sie sich dabei verletzte, daß ihr wahrscheinlich davon der Bauch so weh tat, als sie aufwachte. Das war so gegen zehn am Abend. Sie fragte gleich nach mir, und ich war nicht da. Günther war bei ihr, wenigstens er. Psychische Schäden hat Nicole nicht davongetragen. Während sie noch in der Klinik lag, hat sich ein Kinderpsychologe um sie gekümmert, sich ein paarmal mit ihr unterhalten. Mir sagte er dann, ich müsse mir keine Sorgen machen. Und sollte Nicole nach Herrn Genardy fragen, wir sollten ihr einfach sagen, er sei ausgezogen. Und die Wahrheit irgendwann einmal. Die Wahrheit! Vielleicht gibt es gar keine Wahrheit. Es gibt Zeugenaussagen. Die von einer jungen Frau, die in ihren ersten Lebensjahren mit Nachnamen Genardy hieß. Sie hat Günther und Hans Werner Dettov erklärt, daß sie sich nicht an ihren Vater erinnert. Die von Nachbarn und Kollegen, Hausbesitzern und Vorgesetzten, und alle sagen sie übereinstimmend: Er war zuverlässig, freundlich, hilfsbereit, ein liebenswürdiger und unauffälliger Mann Ende Fünfzig. Und ich habe ihn getötet. Und es gibt Indizien. Eine Blutgruppe, ein paar Kopfhaare an einem Pullover, eine goldene Krawattennadel mit dezent geriffelter Oberfläche und einem kleinen Diamanten. Sie gehört zu einem Paar Manschettenknöpfe. Und es gibt Irrtümer. Ein Donnerstag-Höschen, es gehörte nicht Hedwigs Tochter. Ich hatte mich geirrt, als ich annahm, Nicoles Höschen läge im Schrank. Einer von der Polizei sagte:
    »So blöd war er nicht, daß er das aufgehoben hätte.« Sie sagten auch, daß ihnen solch ein Fall noch nicht untergekommen wäre. All die Jahre, so viele Kinder, und nie hatte er einen Fehler gemacht. Bis auf einen, und den hatten seine damaligen Vorgesetzten vertuscht. Für die Fotografien aus seiner Kommode haben sie das Bundeskriminalamt eingeschaltet. Die

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