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Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war

Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war

Titel: Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul McAuley
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Notfallatemgeräten ausgestattet: eine kleine Sauerstoffflasche, die mit einem aufblasbaren Helm verbunden war, der über einen sich selbst versiegelnden Halsring verfügte. Sollte ein Teil der Stadt explosionsartig dekomprimiert werden, konnten die Leute diesen Helm theoretisch über den Kopf ziehen und den Hahn an der Sauerstoffflasche öffnen. Ihnen blieben dann zwei Minuten Zeit, um zu einem Schutzraum zu gelangen. In der Praxis waren die Geräte jedoch weitgehend nutzlos. Eine explosionsartige Dekompression war kein banales Ereignis wie ein Rohrbruch oder ein platter Reifen. In einem großen Raum wie dem Stadtzelt würde sie einen hurrikanähnlichen Sog auslösen. Die Menschen würden von den Füßen gerissen, von umherfliegenden Trümmern getroffen oder von Nebel geblendet werden, wenn der Wasserdampf in der dünner werdenden Luft kondensierte. Diejenigen, die nicht augenblicklich durch Stürze oder umherfliegende Trümmer das Bewusstsein verloren, wären wahrscheinlich zu benommen und desorientiert, um ihre Atemgeräte überzustreifen. Und selbst wenn ihnen das gelang, würden sie von der Dekompression am ganzen Körper Blutergüsse erleiden und kurz darauf sterben, wenn sie schlagartig Temperaturen ausgesetzt wurden, die so niedrig waren, dass selbst Sauerstoff gefror.
    Doch in der »gegenwärtigen Situation«, wie die allgemeine Lage schon bald von allen genannt wurde, nahmen Wundermittel wie die Notfallatemgeräte eine fast schon totemähnliche Bedeutung an, die in keinerlei Verhältnis zu ihrem tatsächlichen Nutzen stand. Vom Bürgermeisteramt eingesetzte Wächter erhielten die Befugnis, jedermann zu jeder Zeit anhalten zu können und zu überprüfen, ob derjenige sein Atemgerät bei sich trug. Außerdem durften sie
die Leute darüber befragen, wohin sie unterwegs waren. Die Wächter trugen rote Armbinden, 9-mm-Kunststoffpistolen und Schockstäbe, die in den Fabriken der Stadt nach Bauplänen hergestellt worden waren, die über ein Jahrhundert alt waren. Sie bewachten jeden Verkehrsknotenpunkt und die Eingänge zu sämtlichen öffentlichen Gebäuden und Wohnblocks, patrouillierten auf den Märkten und in den Parks und bemannten die Barrikaden, die an den größeren Kreuzungen der Stadt errichtet worden waren.
    Da Ken Shintaro ein Besucher war, der aufgrund des selbst auferlegten Belagerungszustands in der Stadt festsaß, wurde er an beinahe jedem Kontrollpunkt von Wächtern überprüft. In dem fiebrigen Klima, das in der Stadt herrschte, wurde jeder zu einem gewissen Maß verdächtigt, aber Leute, die von außerhalb kamen, standen ganz oben auf der Liste. Bis jetzt hatte der Stadtrat noch nicht den Forderungen nachgegeben, Besucher der Stadt zu internieren, aber viele der Wächter schienen zu glauben, dass alle Fremden nur einen Schritt davon entfernt waren, Agenten des Feindes zu sein. Ken Shintaro war von diesen eifrigen Beschützern des neuen Regimes bereits mehrfach unsanft behandelt oder einer Leibesvisitation unterzogen worden. Unter den Parisern, die sich selbst als Symbol des Widerstands gegen die drei Hauptmächte der Erde begriffen, machte sich zunehmend Verbitterung über Städte wie Camelot auf Mimas oder Xamba auf Rhea breit, ganz zu schweigen von einem Großteil der Städte und Siedlungen des Jupitersystems, deren Bevölkerungen die Entscheidung gefällt hatten, dass sie feindlichen Übergriffen keinen aktiven Widerstand entgegensetzen wollten. Natürlich hätte man die Einwohner von Paris ohne Schwierigkeiten auf die Hunderte von leeren Schutzhütten und Oasen verteilen können, die es überall auf Dione gab, aber die Stadt zu evakuieren, wäre einer Kapitulation
gleichgekommen. Die Bewohner von Paris konnten ihre trotzige Haltung nur aufrechterhalten, wenn sie in der Stadt blieben, und das bedeutete, dass sie mit der ständigen Angst vor einem Angriff, hohen Opferzahlen und einer Niederlage leben mussten, während sie zugleich die Möglichkeit einer Niederlage an sich verleugneten.
    Sie hatten sich also selbst zu Opfern auf dem Altar ihrer Prinzipien gemacht. Die Bürger mussten ständig wachsam bleiben, stets ihre Nachbarn im Auge behalten und nach Anzeichen von Panik, Unzufriedenheit oder mangelnder Loyalität Ausschau halten. Jeder Außenseiter war ein potenzieller Feind und ebenso jeder, der irgendeine Meinung vertrat, die der gemeinschaftlichen Gesinnung der Bevölkerung zuwiderlief, oder sich, wenn auch nur geringfügig, über die Notfallmaßnahmen beschwert oder in der Vergangenheit

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