Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war
Leute ständig öffentlich ihre Loyalität und ihre Bereitschaft bekundeten, im Kampf ihr Leben zu geben, hatten die meisten von ihnen Angst und waren aufgewühlt und besorgt. Den Menschen wurde zunehmend bewusst, dass das Stadtzelt und die angrenzenden
Kuppeln kaum mehr waren als zerbrechliche Blasen voll Luft, Wärme und Licht inmitten eines unendlichen, eisigen Vakuums. Obwohl die Bevölkerung zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen war, tranken die Menschen mehr, nahmen mehr Drogen, stritten und prügelten sich und gaben sich einer rückhaltlosen Promiskuität hin, manchmal sogar in aller Öffentlichkeit.
Zwei Tage, bevor die Waldblume mit ihren Schwesterschiffen im Orbit von Mimas zusammentreffen sollte, rief Marisa Bassi das Kriegsrecht aus.
Ken Shintaro erfuhr davon, als seine Nachbarn ihn um sechs Uhr morgens weckten, indem sie an seine Tür hämmerten und mit lauter Stimme verlangten, eingelassen zu werden. Er ließ seinen Blick rasch durchs Zimmer schweifen, um sich zu vergewissern, dass alles seine Ordnung hatte, und öffnete dann die Tür. Mehrere Leute kamen hereingestürmt, angeführt von Al Wilson, der für den Wartungsplan des Wohngebäudes verantwortlich war.
»Wann haben Sie das letzte Mal Zi Lei gesehen?«, fragte Al Wilson.
Ken Shintaro war darauf trainiert worden, stets die Wahrheit zu sagen, solange dies seine Mission nicht gefährdete. Also erwiderte er wahrheitsgemäß: »Gestern.«
Eine der Frauen warf einen Blick in seine Duschkabine, während einer der Männer seinen Schrank durchwühlte. Ein anderer Mann tastete seine Schlafnische ab. Die Leute im Zimmer trugen allesamt rote Armbinden. Ken spürte ihre Aufregung und Feindseligkeit. Sie musterten ihn mit finsteren Blicken. Offensichtlich waren sie durchaus zur Gewalt bereit. Sein Herz schlug ein wenig schneller, und ein Prickeln breitete sich auf seiner Kopfhaut aus. Er spürte die kühle Luft auf jedem Quadratzentimeter seiner Haut. Ein Mann, der in der Tür stand, sagte: »Warum haben Sie Ihr
Schloss ausgetauscht, mein Freund? Der Generalschlüssel passte nicht.«
Eine weitere Regel, die er während seiner Ausbildung gelernt hatte: Wenn einem jemand eine heikle Frage stellte, ignorierte man sie am besten. Gab vor, sie gar nicht gehört zu haben. Änderte das Gesprächsthema. »Hat Zi Lei irgendetwas verbrochen?«, fragte er.
Der Mann in der Tür sagte: »Das geht Sie nichts an. Sie sollten sich etwas anziehen.«
»Ich habe geschlafen.«
Ken Shintaro bewegte sich langsam und vorsichtig, mit gesenkten Augenlidern, als sei er immer noch ein wenig schlaftrunken. Innerlich war er jedoch von brodelnder Energie erfüllt und wusste bereits, was er zu tun hatte, wenn es zum Äußersten kam. Al Wilson würde er ausschalten, indem er ihm mit der Handkante gegen die Kehle schlug. Als Nächstes würde er sich den Mann in der Tür vorknöpfen, mit seinem raffgierigen Blick und dem kleinen Bärtchen unter der Unterlippe, das an Schamhaar erinnerte. Ihm das Genick brechen und sich danach um die restlichen Leute kümmern. Einen Moment lang sah er all das deutlich vor sich und stellte fest, dass er kampfbereit das Gewicht verlagert hatte. Zum Glück hatte keiner der Eindringlinge es bemerkt.
»Vielleicht sollten wir ihn verhaften«, sagte die Frau in der Duschkabine.
»Er steht nicht auf der Liste«, erwiderte Al Wilson.
»Er stammt aus Rainbow Bridge«, sagte die Frau. »Da gibt es jede Menge Pazifisten. Die haben dort mit der Erde zusammengearbeitet und diese Leute in ihre Stadt gelassen. Sie sind schuld an dem Ganzen.«
Al Wilson achtete nicht auf sie. Er wirkte vorsichtig und wachsam, als sei er von Hindernissen umgeben, die es mit
äußerster Sorgfalt zu umschiffen galt. »Wir müssen Zi Lei finden«, sagte er. »Sie sind ein Freund von ihr. Vielleicht wissen Sie ja, wo sie ist oder wo sie sein könnte.«
»Hier ist sie jedenfalls nicht.«
»Sie können nicht so dumm sein, wie Sie aussehen«, sagte der Mann in der Tür. »Lassen Sie die Spielchen und sagen Sie uns, was Sie wissen.«
»Ich weiß nicht, wo Zi ist«, sagte Ken Shintaro und sah den Mann mit dem unschuldigen Blick an, den er jeden Tag im Spiegel übte, wie all seine Gesichtsausdrücke. »Worum geht es denn?«
»Es geht um Verrat«, sagte der Mann, der seine Schlafnische untersuchte. Inzwischen hatte er sich auf die Knie niedergelassen und tastete mit den Fingern den unteren Rand der Nische ab.
»Und um ihre Sicherheit«, sagte Al Wilson.
»Das verrückte Miststück hat sich
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