Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war
der Dauerhaften Friedensdebatte kennengelernt.«
»Wir sind uns das erste Mal bei der Arbeit begegnet. Wir wohnen im selben Haus.«
Er fragte sich, ob Keiko Sasaki ihm womöglich gefolgt war.
»Du weißt sicher, dass es ihr nicht gutgeht. Sie arbeitet zu viel und macht sich Gedanken wegen des Krieges. Und sie nimmt ihre Medikamente nicht … Wusstest du, dass sie schizophren ist?«
Er zuckte die Achseln, weil er nicht wusste, was er darauf erwidern sollte.
»Ich bin Zis Freundin, Ken. Außerdem bin ich ihre Gesundheitshelferin. Ich wurde von der Stadt dazu eingesetzt, über ihr Wohlergehen zu wachen, nachdem sie sich vor zwei Jahren selbst verletzt hat. Sie soll an einem kognitiven Therapieprogramm teilnehmen, das ihr dabei helfen soll, ihre Ängste und Phantasien zu analysieren und zu verarbeiten. Außerdem soll sie Medikamente nehmen, die gegen ihr Serotoninungleichgewicht helfen sollen. Im Augenblick tut sie jedoch weder das eine noch das andere, weil sie sich, wie sie behauptet, in einer Phase intensiver Kreativität befindet«, sagte Keiko Sasaki. »Natürlich ist es ihre Entscheidung. Ich kann ihr nur Ratschläge erteilen. Doch obwohl sie sonst vernünftigen Vorschlägen gegenüber zugänglich ist, befindet sie sich im Augenblick in einer manischen Phase und ist sehr verwundbar. Und die gegenwärtige Situation bietet ihren Phantasien noch zusätzliche Nahrung.«
»Die gegenwärtige Situation?«
»Die Tatsache, dass jeden Moment ein Krieg ausbrechen könnte.«
Sein Verdacht, dass es bei dem Gespräch gar nicht um Zi Lei ging, sondern dass die Frau eine Art Friedensoffizierin war, wurde langsam zur Gewissheit. Man hatte ihm gesagt, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass er entdeckt werden würde. Während seiner Ausbildung war das immer wieder betont worden, und seit er die Stadt betreten hatte, hatte er sich ständig gefragt, ob er womöglich überwacht wurde, von Leuten, die wussten, dass er nicht derjenige war, der er zu sein vorgab. Er befand sich in einem ständigen Zustand der Furcht und des Argwohns, während er sich fragte, ob er von Passanten beobachtet wurde oder ob die gewöhnlichen Gespräche mit den Leuten bei der Arbeit, auf den grünen Märkten oder mit seinen Nachbarn im Wohnblock womöglich mehr bedeuteten, als es auf den ersten Blick den
Anschein hatte. Eine ständige unterschwellige Angst, ständige Analyse und Selbstbeobachtung. Jetzt fiel all das von ihm ab, und er hatte das Gefühl, von einer allumfassenden Stille erfüllt zu sein. Er war weder wütend noch ängstlich. Stattdessen verspürte er Erleichterung darüber, dass das Unvermeidliche endlich eingetreten war. Als Erstes überkam ihn der Drang, Keiko Sasaki zu fragen, woher sie es wusste, wie er entdeckt worden war und was ihn verraten hatte, aber er unterdrückte ihn. Doch solange sie ihm kein klares und eindeutiges Signal gab, dass sie über ihn Bescheid wusste, waren sie beide dazu verdammt, weiterhin ihre Rollen zu spielen.
»Zi hält dich für einen Freund, einen Verbündeten«, sagte Keiko Sasaki.
»Ich hoffe, dass ich das auch bin.«
»Gut. Kann ich dich dann um etwas bitten? Nicht um meinetwillen, sondern um Zi zu helfen.«
»Von mir aus gern.«
»Wenn du Zi ein guter Freund sein und ihr wirklich helfen willst, wäre es ratsam, sie nicht in ihren Phantasien zu bestärken. Hör ihr zu, aber stell keine Fragen. Versuch, über andere Dinge mit ihr zu reden. Und vielleicht kannst du sie auch von der Dauerhaften Friedensdebatte fernhalten.«
»Sie leistet dort viel Gutes.«
»Anfangs war die Debatte ein hervorragendes Ventil zum Dampfablassen, aber inzwischen ist sie zu einer Parodie verkommen. Sie lockt nur noch Unzufriedene und Phantasten an. Dort können sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen und in ihren paranoiden Phantasien schwelgen. In manchen Fällen ist das genau das, was die Menschen brauchen. Aber Zi tut es gar nicht gut, wenn sie in ihren Phantasien bestärkt wird. Und genau das geschieht jedes Mal, wenn sie auf die Bühne geht und die Leute dazu bringt, in ihr Summen mit
einzustimmen. Sie begreift nicht, dass sich die Leute nur über sie lustig machen. Sie sieht bloß, was sie sehen will. Bestätigung. Und das treibt sie immer tiefer in ihre Phantasien und entfremdet sie von ihrem Alltag. Im Moment ist sie so sehr in ihren Phantasien gefangen, dass sie nicht einmal mit mir reden will. Sie hält mich für eine Art Spionin oder feindliche Agentin, die verhindern will, dass sie die Schwingungen
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