Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war
hinzugefügt worden war. Dahinter befand sich die terrassenförmig angelegte Hauptinsel. Der Seeboden bestand aus demselben Material wie der Kofferdamm, eine dünne Schicht aus einem leichten und unglaublich widerstandsfähigen Fulleren-Verbundstoff, dessen schwarze Oberfläche feine Streifen aufwies, die an Muskelfasern erinnerten. Darunter befand sich ein mehrere Meter tiefer isolierender Unterbau, der das Biom auf dem diamantharten Eis verankerte und verschiedene Formen und Konturen bildete – Untiefen und Anhöhen, Gräben und erhobene Riffplateaus. Es war so, als würde man in einer gewaltigen, halbvollen Badewanne joggen.
Macy spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Sie nahm die Mütze ab und lief weiter, während ihr Haar wie der Schweif eines rostigen Kometen hinter ihr her wehte. In der niedrigen Schwerkraft von Kallisto war es einfacher zu rennen, als zu gehen, allerdings fiel es einem schwerer, die Richtung zu ändern, da man immer noch über dieselbe Masse, aber über deutlich weniger Traktion verfügte. Man musste vorausschauend handeln, weite Bögen um Hindernisse beschreiben und allmählich abbremsen. Wenn man versuchte,
plötzlich stehen zu bleiben, konnte es einem passieren, dass man über die eigenen Füße stolperte. Bill Highbridge hatte sich ein paar Rippen geprellt, als er gegen einen der Felsbrocken am Rand der Hauptinsel gelaufen war, und Pilgrim Greeley hatte sich bei einem schlimmen Sturz das Handgelenk gebrochen. Macy drehte jedoch jeden Morgen vor dem Frühstück eine Runde auf dem Seebett, um ihre Gedanken zu ordnen und sich darauf vorzubereiten, die Probleme des Tages anzugehen. Mit Leichtigkeit und Eleganz bog sie nun in südliche Richtung ab und lief parallel zur Wasserlinie weiter, die jeden Tag ein Stück höher stieg.
Die Wasserfläche, die das Seebett von der Mitte her ausfüllte, besaß an ihrer breitesten Stelle inzwischen einen Durchmesser von einem halben Kilometer. Nach einer weiteren Woche würde das Wasser die Uferlinie erreicht haben, und Macy würde ihren morgendlichen Lauf auf die Uferstraße verlegen müssen. Die Wasserfläche bot auch jetzt schon einen beeindruckenden Anblick: Es war ein breiter Kanal aus gelbbraunem Wasser, der von Dutzenden raschen Strömungen aufgewirbelt wurde, die von den Einfallrohren am Ufer herrührten; Wellen, die hin und her eilten und sich weiß schäumend brachen. Natürlich herrschte auf Kallisto kein Wassermangel – der Mond war vollständig mit Wassereis bedeckt, ein gefrorener weltumspannender Ozean, der einen Kern aus Silikatgestein einhüllte -, doch bei ungefähr -170 °C war das Eis hart wie Granit. Um den See zu erschaffen, musste es abgebaut und geschmolzen werden. Danach wurde es aufbereitet, um Schwefelverbindungen und überschüssiges Kohlendioxid daraus zu entfernen und es mit Sauerstoff anzureichern, und schließlich durch kilometerlange beheizte Rohre in die Kammer des Bioms geleitet. Die Mündung eines dieser Rohre ragte in etwa hundert Metern Entfernung aus der Uferböschung. Das Wasser dampfte, während
es schäumend daraus hervorströmte, und der wilde Geruch brachte Macys Blut in Wallung. Das Eis war seit Milliarden Jahren gefroren gewesen, doch alles, was es brauchte, war ein wenig freigesetzte Energie, um die Wasserstoffbrückenbindung abzuschwächen und eine Zustandsänderung von fest zu flüssig zu erreichen. Als würde man ein Fossil wieder zum Leben erwecken.
Die drei großen Maschinen, die das Eis abbauten, schmolzen und aufbereiteten, das riesige Zelt, in dem das Biom untergebracht war, und das Biom selbst stellten einen enormen Aufwand an Technik, Energie, menschlicher Arbeit und Vorstellungskraft dar. Macy war entschlossen, ihren Beitrag zu den grandiosen Plänen der Außenweltler zu leisten, doch obwohl sie es kaum erwarten konnte, ihre Fähigkeiten zum Einsatz zu bringen, und obwohl sie noch in Großbrasilien Hunderte von Stunden damit verbracht hatte, mit der Plankton-Mannschaft und dem armen Manny Vargo sämtliche Einzelheiten durchzugehen, litt sie seit ihrer Ankunft auf Kallisto unter schlaflosen Nächten. Die traumähnlichen Bedingungen der niedrigen Schwerkraft, der merkwürdige Geschmack der Luft, die seltsamen Geräusche, die in dem Raum mit der hohen Decke im hohlen Fundament des Stützpfeilers widerhallten (sie war dazu übergegangen, im Labor zu schlafen) – all das trug noch zu ihrer Schlaflosigkeit bei. Größtenteils war diese jedoch der quälenden Angst geschuldet, dass irgendetwas
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