Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
Vom Netzwerk:
trank einen Schluck Bier und beobachtete abwechselnd den Haarschneider und die Burschen an dem Tisch. Einer von ihnen, hörte er, hatte den vergangenen Herbst auf einer Baustelle in der Stadt gearbeitet. Der Dienst habe um sieben Uhr begonnen. Er sei täglich mit seinem Moped fünfzig Kilometer bis zur Baustelle und wieder zurück gefahren. Um fünf Uhr sei er aufgestanden, um sieben Uhr am Abend nach Hause gekommen. Im Spätherbst sei ihm so kalt auf dem Moped gewesen, daß er laut mit sich gesprochen habe. Auch habe er hin und wieder angehalten und Schnapstee aus einer Thermosflasche getrunken. Deshalb sei er in Verruf geraten, Trinker zu sein. Nach drei Monaten habe er eines Morgens nicht mehr die Kraft gehabt aufzustehen. Er sei einfach liegengeblieben. Wieder zur Arbeit zu gehen und anzugeben, er sei krank gewesen, habe er nicht gewollt. Deshalb habe er eine Zeitlang Arbeitslosengeld bezogen. Dann im Frühjahr habe er bei der Bachregulierung der Saggau geholfen. Das sei eine schöne Arbeit gewesen, weil sie nicht weit von zu Hause entfernt gewesen sei. Aschers Blick fiel wieder auf den Oberst. Sobald der Haarschneider bemerkte, daß Ascher sie betrachtete, machte er einen Witz, auch der Oberst bemühte sich zu scherzen. Er saß da, so schien es Ascher, wie ein Delinquent. Sein Haar war dünn und silberweiß. Ein Kind kam von der Straße herein und verlangte einen Eislutscher. Durch die halboffene Tür sah Ascher, daß es ein Damenfahrrad an die Stiegen gelehnt hatte. Der Oberst war mit dem Tuch um die Schultern aufgestanden, hatte die abgeschnittenen Haare abgeschüttelt und in der Kühltruhe nach dem Eislutscher gesucht, dann hatte er sich wieder in den Vorraum gesetzt, und Ascher hatte dem Kind durch das Fenster weiter zugeschaut, wie es mühsam mit einer Hand das Fahrrad aufgehoben und versucht hatte, mit dem Eislutscher in der anderen zu fahren. Es hatte jedoch immer einen Fuß auf dem Boden abstützen müssen und es schließlich aufgegeben und das Fahrrad geschoben. Die Wirtin, die den Raum kurz verlassen hatte, trug einen Korb mit Brennholz herein, den sie vor den Herd stellte.
    »Jetzt schneide ich dir den Hals ab, ja«, rief der Mann dem Oberst zu, streckte sich, die Schere und den Kamm vor den Bauch haltend, durch und stutzte dem Oberst die Augenbrauen.
    »Andererseits habe ich hier Arbeit bekommen. Unten in der Ebene haben sie mir nichts mehr gegeben, seit ich vorbestraft bin«, sagte ein stämmiger Mann mit gebrochener Nase und einer Wollmütze. »Ich schlafe über einem Schweinestall, das Zimmer kann man nicht heizen, aber ich bekomme mein Essen, und ich helfe dem Bauern beim Viehfüttern, beim Anbau und bei der Ernte. Wenn ich will, kann ich auch noch woanders hingehen und mir etwas dazuverdienen, was willst du mehr?«
    »Wo habt ihr eure Katzen?« hatte Zeiner währenddessen die Wirtin gefragt.
    »Sind alle erschossen«, hatte sie geantwortet. »Die Jäger haben alle erschossen«, wiederholte der Gendarmerieoberst. Er war gerade fertig geworden und stand auf.
    »Im Vorjahr haben wir noch sieben Katzen gehabt, jetzt haben wir keine mehr. Dem Haarschneider habt ihr in der Vorwoche den Hund erschossen.«
    »Wir haben unsere Vorschriften«, unterbrach ihn Zeiner, während er Platz nahm. »Sie sollen die Hunde anhängen, dann passiert nichts.«
    Der Haarschneider nahm ein Rasiermesser heraus und rasierte das Haar unter dem Ohr. Er hatte die Zunge ein wenig zwischen den Zähnen aus dem Mund vorgestreckt und kniff die Augen zusammen.
    »Und wieso kommt es vor, daß nie ein Hund der Jäger erschossen wird?«
    Er warf einen raschen Blick auf Ascher und fuhr mit seiner Arbeit fort.
    »Ich habe damit nichts zu tun«, erwiderte Zeiner. »Ich verstehe.« Der Haarschneider wischte das Rasiermesser an seiner Hose ab, holte einen Riemen heraus, hakte ihn am Fensterriegel ein und zog das Messer mit raschen Bewegungen ab. Dabei warf er wieder einen Blick auf Ascher, der ihm zulächelte.
    Jetzt lächelte auch der Mann, beugte sich wieder zu Zeiner hinunter und rasierte die Haare unter dem anderen Ohr. »Aber wem soll ich das melden? Nicht, daß ich die Absicht habe, es zu tun, nur angenommen den Fall, ich möchte es …«
    »Der Bezirkshauptmannschaft.«
    »Und was macht die Bezirkshauptmannschaft? Ist schon einmal etwas herausgekommen, wenn ein Hund erschossen worden ist?«
    »Das ist mir egal. Ich habe damit nichts zu tun«, wiederholte Zeiner und blickte den Mann an. Der Mann schwieg. Ascher bestellte eine Flasche

Weitere Kostenlose Bücher