Der stille Ozean
Nebentisch zu. Einer von ihnen hatte ein halbes Jahr in Graz in einer Betonfabrik gearbeitet, nun aber die Stellung verloren. Ein anderer war Installateur in Tirol und Vorarlberg gewesen, vor einigen Jahren wieder zurückgekommen und arbeitete in einer Hühnerfabrik in Pölfing Brunn. Seit einem halben Jahr sei ihm das Urlaubsgeld nicht ausbezahlt worden. Auch habe der Unternehmer auf die Anweisung des Gesundheitsamtes hin eine Dusche im Betrieb einrichten lassen, allerdings wartete der Transportbus nach Dienstschluß nicht auf die Arbeiter, die sich duschen wollten. Daher sei die Dusche noch nie benutzt worden. »Meine Schwester«, fuhr er fort, »arbeitet als Lehrling im Gastgewerbe in Frauenthal. Sie macht jede Woche Überstunden.« Die Überstunden bekomme sie nicht bezahlt, abgesehen davon, daß sie gar keine machen dürfe. Einmal habe sie bei der Gewerkschaft angerufen, dort habe man sie gefragt, ob sie Mitglied sei. Das könne sie aber nicht sein, weil es der Besitzer nicht erlaube. Daraufhin habe man ihr mitgeteilt, daß man nichts für sie tun könne. »Die machen mit uns, was sie wollen«, sagte ein etwa dreißigjähriger Mann mit blonden Haaren. Er trug eine graue Militärmütze ohne Abzeichen. »Wir haben keine Betriebe hier, und wenn einem etwas nicht paßt, haben sie sofort einen anderen.« Er sei Ziegelarbeiter in Gasselsdorf gewesen. Dort habe er sich das Schlüsselbein gebrochen, und als er nach dem Krankenstand zurückgekommen sei, habe man ihn nicht mehr genommen, weil bereits ein anderer eingestellt worden sei. Nun arbeite er im Sägewerk, das sei ihm auch recht. Gewerkschaften gäbe es nur in großen Betrieben, wo man anonym bleiben könne. »Dort, wo sie jeden kennen, ist es besser, wenn du still bist«, sagte er. Einmal, er habe damals bei einem Fleischhauer gearbeitet, und sie hätten jeden Tag an die dreißig bis vierzig Stück Stiere geschlachtet, die in der Nacht nach Italien transportiert worden seien, habe ein Gehilfe über einen Bekannten, der über Einfluß verfügt hätte, einen Inspektor der Gewerkschaft oder der Arbeiterkammer, er wisse das nicht mehr so genau, überredet, den Betrieb zu kontrollieren. Zuerst hätten sie die Arbeiter einzeln befragt. Die meisten hätten angegeben, daß sie mit den Umständen im großen und ganzen zufrieden seien, nur zwei oder drei hätten Mißstände angegeben. Daraufhin sei es zu einer Gegenüberstellung gekommen, bei der die Arbeiter alles zurückgenommen und sich vor dem Inspektor beim Besitzer entschuldigt hätten, trotzdem habe der Inspektor dem Besitzer »Unkorrektheiten« nachweisen können, für die er fünftausend Schilling Strafe habe bezahlen müssen. Bei der nächsten Gelegenheit habe er jene, die gegen ihn ausgesagt hätten, entlassen. Seither drohe er den Arbeitern – wenn er mit ihnen nicht zufrieden sei –, er werde die Gewerkschaft verständigen. Die Unternehmer, so schrie der Mann, seien von Grund auf dagegen, daß ein großer Betrieb in der Gegend angesiedelt würde, weil sie wüßten, daß sie dann ihre Macht verlören. Auch Zeiner hatte den Burschen zugehört, ohne sich einzumischen. Ein kleiner Mann mit schütterem, nach hinten frisiertem Haar und einer langen Nase trat ein. Er kam, kaum daß er eingetreten war, mit den Burschen ins Gespräch. Ascher schloß aus den Bemerkungen, daß er nebenbei aushalf, Schweine zu beschneiden. Der Mann packte eine Aktentasche aus, stellte einen Sessel in den Vorraum und leerte ein Glas Bier in großen Zügen. Er fragte Ascher, ob auch er sich die Haare schneiden lassen wolle. Ascher verneinte unter dem Gelächter der anderen, und der Mann fragte, wer der erste sei. Die Burschen hatten ihr Gespräch wieder aufgenommen, und der Mann hatte dem pensionierten Gendarmerieoberst ein rotes Tuch umgehängt, auf das weiße Blumen mit schwarzen Stengeln gedruckt waren. Auf die Frage Zeiners, woher er das Tuch habe, antwortete der Mann, von seiner Frau. Er hatte der Tasche einen Kamm, eine Schere und eine Haarschneidemaschine, die er mit einem Kabel an eine Steckdose im Vorraum anschloß, entnommen. Ascher hatte inzwischen bemerkt, daß der Gendarmerieoberst aus einem Papiertaschentuch Kugeln gedreht hatte, die er sich in die Ohren stopfte. Er wunderte sich deshalb auch nicht, daß der Mann ihn anschrie, als er nach seinen Wünschen fragte. Die Haarschneidemaschine begann laut zu surren. Als der Mann beim Haarschneiden um den Oberst herumging, fiel Ascher auf, daß er hinkte. Er lehnte sich zurück,
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