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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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Kinderkleider vor die Haustür werfen, damit es nicht einschlage – das sei ein alter Brauch), trotzdem habe niemand einen Blitzableiter. Zumeist schlage der Blitz in die hohen Obstbäume ein, die um die Häuser stünden. Wenn Ascher Zeit habe, könne sie ihm einige Bäume zeigen, in die der Blitz gefahren sei. Auch in den großen Birnbaum vor ihrem Haus habe der Blitz schon eingeschlagen. Ihr damaliger Untermieter sei gerade vor die Tür getreten, um nachzuschauen, wie es mit dem Gewitter stünde, da habe der Blitz eingeschlagen und ihn zu Boden geworfen. Sie lachte in sich hinein. Sie habe das Unglück ihres Nachbarn von ihrem Küchenfenster aus gesehen. Hingeschaut habe sie wegen des lauten Donners, aus dem sie sofort geschlossen habe, daß es in der Nähe eingeschlagen haben müßte. Die Kühe hätten gebrüllt, daß es weit im Umkreis zu hören gewesen sei. Dann seien die Flammen aus dem Stall geschlagen, und es habe zu rauchen begonnen. Auch die Tenne mit dem Grasfutter und den leeren Fässern hätte gebrannt. Die Feuerwehren von Praratheregg und St. Ulrich seien ausgerückt, hätten jedoch nicht verhindern können, daß die Wirtschaftsgebäude zerstört worden seien. Die Blitzableiter-Firma habe keinen Schadenersatz geleistet, und eine Versicherung habe der Nachbar nicht abgeschlossen gehabt, so daß er alles habe allein bezahlen müssen.
    Auf einer aperen Stelle des Hanges hockte das jüngste Kind mit seiner Schwester auf einem Schlitten. Sie kamen angerannt, und Ascher schob sie den Hang hinauf. Erst in der Küche begann das kleine Mädchen wieder Zischlaute von sich zu geben. Es hielt ein blau und weiß kariertes Tuch in der Hand, in das Ascher es schneuzen ließ. Er nahm das Mädchen auf den Schoß, legte ein Blatt Papier hin und gab ihm einen Bleistift. Das Mädchen zischte jedoch weiter und streckte beim Lachen die Zunge heraus. »Sie geben ihr Schaben, weil sie glauben, sie wird davon gesund. Die Schaben zerdrücken sie und werfen sie in den Kaffee«, sagte der Bäcker. Er machte ein spöttisches Gesicht. Ascher antwortete, das helfe nicht, jemand müsse sich mit dem Kind beschäftigen.
    »Wer soll sich mit dem Kind beschäftigen?« fragte der andere Sohn daraufhin. »Niemand hat Zeit.« Die Strumpfhose des Mädchens war zerrissen, und ein Knie schaute heraus. Inzwischen stellte die Nachbarin eine Tasse mit Schnapstee vor Ascher. Als sie hinausging, sperrte sie die Stubentür von außen zu. Auf Aschers Frage, weshalb, antwortete die ältere Tochter, daß die Mutter das Geld hole. Niemand dürfe wissen, wo sie es verstecke. Endlich kam die Nachbarin zurück. Sie trug einen ockergelben Mantel, ihr Haar war frisiert. Sie setzte sich zum Bäcker in das Auto, da kam ihr Mann aus dem Keller und fragte sie, wohin sie gehe. »Fort«, antwortete die Frau.
    »Wir haben Arbeit«, sagte der Mann. Er hatte die Augenbrauen gehoben und blickte die Frau an. Beide warteten. Die Frau stieg schließlich langsam aus und ließ den Kopf sinken. Auf der Fahrt zum Schweinezüchter erklärte die Witwe, daß sie inzwischen mehrfach hätte heiraten können. Sie habe aber alle Anträge ausgeschlagen. »Viele trinken, dann werden sie in der Nacht gewalttätig oder sitzen stundenlang in der Küche und bedrohen ihre Frauen«, sagte sie. Auch seien die meisten eifersüchtig, bildeten sich Geschichten ein, die sie den wehrlosen Frauen vorwürfen und scheuten nicht davor zurück, die Streitigkeit vor den Kindern fortzusetzen. Zwar sei sie allein und müsse mit der alten Tante und dem Sohn die Wirtschaft führen, denn Arbeitskräfte könne sich in dieser Gegend niemand leisten, höchstens stunden- oder tageweise, trotzdem wolle sie sich an keinen Mann mehr binden … Ihr Mann, den sie als Sterbenden mit der Rettung habe nach Hause bringen lassen, denn es sei sein Wunsch gewesen, zu Hause zu sterben, sei zwar ein guter und arbeitsamer Mensch gewesen, er habe sich andererseits aber zu allem nur zögernd entschließen können und vieles überhaupt bleiben lassen. Zum Beispiel, als 1961 die Gemeinde ein elektrisches Stromnetz erhalten habe (bis dahin hätten alle nur Petroleumlicht gehabt, Radio habe es überhaupt keines gegeben), habe er sich nicht anschließen lassen. Wie es in der Nacht rundherum in den Häusern hell geworden sei, habe sie geweint. Erst nach einem Jahr habe er sich, als er gesehen hatte, daß er einen Fehler begangen hatte, zur Elektrizitätsgesellschaft begeben und um einen Anschluß ersucht. Er habe ihr auch verboten,

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