Der stille Sammler
wahren Route-66-Killer.«
Lynch schüttelte die Hand. »Dieses beschissene Ding brennt. Es tut weh wie ein Wespenstich.« Er kicherte von Neuem. »Ach, Scheiße, Mann. Ich wollte doch nichts weiter als lebenslänglich. Live. Ist das denn zu viel verlangt?«
»Das vielleicht nicht, aber in der augenblicklichen Situation stehen die Chancen dagegen. Sie sind nicht sicher. Niemand von uns ist sicher. Selbst wenn Sie wieder ins Gefängnis gehen, kann er Sie dort erwischen, weil Sie nicht wegkönnen. Es ist sogar noch viel einfacher, jemanden im Gefängnis zu töten als außerhalb.«
Das Kichern verging ihm, und er fing an zu heulen. So ist es oft mit diesen Typen. Mit der Wahrheit konfrontiert flennen sie los.
»Sie sind kein Killer, Lynch, habe ich recht?«
»Nein. Ich bin ein Loser. Ein Verlierer.« Er sah mich aus großen traurigen Augen an, als wollte er sich entschuldigen. Er machte Anstalten, meine Hand zu ergreifen, die auf dem Metallgeländer an der Seite ruhte, doch dann zuckte er zurück, als wäre er plötzlich erschrocken von der Vorstellung, lebendes Fleisch zu berühren. »Wissen Sie, wie das ist, wenn man so sehr jemand sein möchte? Ich dachte, ich könnte langsam machen, mich steigern. Verstehen Sie?«
Ich blickte ihn für einen Moment an, dann kehrte ich zum Thema zurück. »Sagen Sie mir die Wahrheit, Lynch. Jetzt.«
Und dann fing dieser Typ, der nicht genug Mumm hatte, Leute zu ermorden, wie ein Betrunkener zu reden an. Als hätte er in mir eine neue beste Freundin gefunden. »Ich hab ihn in einem dieser Internet-Chatrooms getroffen. Er nannte sich 66. Nach einiger Zeit verließ er den Chatroom und fing an, mir Mails zu schreiben. Ich habe die Computer in den Truck Stops benutzt, um sie abzurufen. Er schrieb nur mir, sonst keinem. Er war der echte Killer, wissen Sie? Zuerst sagte ich ihm, dass ich ihm nicht glaubte. Er war sauer. Er wollte mir beweisen, dass er der Richtige ist. Er erzählte mir alle möglichen Einzelheiten, die nicht in den Nachrichten gewesen waren, und alles klang echt in meinen Ohren. Ich gab vor, ebenfalls Frauen umzubringen, so wie er, aber das war gelogen. Ich erfand Geschichten. Ich schämte mich, ihm die … Wahrheit zu … zu verraten. Ich war nur … mir ist schwindlig … o Gott.«
Plötzlich sank sein Kopf nach hinten auf das Kissen, als wäre er zu schwer geworden für seinen dürren Hals. Seine Augenlider flimmerten. Als er spürte, wie ich ihm die Morphiumpumpe aus der Hand nehmen wollte, war er wieder da. »Ich habe niemanden umgebracht … aber die Tote, die ich gefunden hatte … Ich hab sie zu einer Mumie gemacht, das war ganz allein meine Idee. Ich hab das Zeug dafür im Internet bestellt. Das Natron und alles. Niemand hat mir dabei geholfen.«
»Was ist mit 66? Was wissen Sie sonst noch über ihn?«
»Nichts.« Er fing an zu lallen. Hoffentlich kam niemand vorbei, um seine Schmerzmitteldosierung zu justieren, bevor ich mit ihm fertig war. »Ich … ich brauchte nur ein wenig mehr … Zeit.«
»Kommen Sie, Lynch. Er hat Sie mitgenommen zu den Stellen, wo er die Leichen abgeladen hatte.«
Lynch schüttelte den Kopf, was ihn noch benommener zu machen schien. »Er hat gesagt, er habe sie in dem alten Dodge oben am Bergpass versteckt. Ich kannte das Wrack und fuhr hin, um selbst nachzusehen, ob … ob das der Wahrheit entsprach.«
»Dann haben Sie diesen 66 nie selbst gesehen?«
Lynch schüttelte den Kopf, vorsichtiger diesmal. »Ich fand die Leichen und benutzte sie für … Sie wissen schon. Aber irgendwann war ich’s leid, immer den ganzen Weg zum Pass raufzufahren.« Er spazierte mit den Fingern der rechten Hand über seine Brust und grinste sie an.
»Warum haben Sie nicht eine der Leichen in Ihren Truck geschafft?«
»Hab ich versucht. Aber sie fiel auseinander, als ich sie bewegen wollte. Das gefiel mir nicht.«
Vermutlich haben selbst Nekrophile einen gewissen Sinn für Ästhetik.
»Sie haben beide Körper benutzt? Auch den der Highwaynutte?«
»M-hmmm«, sagte er in einer merkwürdigen Art von Singsang.
»66 hat ihnen nicht gesagt, wann oder wo er sie getötet hat, oder?«
»M-hmmm«, im gleichen Singsang. Dann strich er sich über die Lippen, als würde er einen Reißverschluss bedienen. »Er wollte nicht mit der Sprache raus, was die Highwaynutte anging. Er sagte nur, sie wäre was anderes.«
Ich wurde hellhörig. Der Killer hatte über jedes Detail der anderen Morde geredet, wollte aber nicht über sein erstes Opfer sprechen.
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