Der stille Sammler
dann sitzt da ein Kerl vor mir, der beinahe so ist wie Sie und ich. Ein erbärmlicher Wichser, okay, aber immer noch ein menschliches Wesen.«
»Er hat Sie mit seiner Bemerkung über Vampirserien überrumpelt, stimmt’s? Dass es eine Verbindung zwischen Sex und Tod gibt, die die meisten Leute anmacht.«
»Nein«, widersprach sie.
»Doch.«
»Also schön. Ja.«
»Wir sind eine durch und durch verdorbene Spezies. In gewisser Weise hat Lynch vollkommen recht, da beißt die Maus keinen Faden ab.«
Ich schaute sie an. Sie hatte die Lippen zwischen die Zähne gesaugt und die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, als wolle sie sich auf diese Weise vor meinen Worten schützen. Ich fragte mich, was sie sagen würde, wenn sie wüsste, wie ich den Kerl im Flussbett erledigt hatte. Ich redete wie Darth Vader, um die Stimmung aufzuhellen: »Willkommen auf der dunklen Seite der Macht, Luke.«
Diesmal lachte sie nicht, also wurde ich rasch wieder ernst. »Hey, Coleman, machen Sie sich keine Gedanken deswegen, hören Sie? Die Twilight-Serie zu mögen heißt noch lange nicht, dass man jemand anderem das Blut aussaugt. Wir alle umarmen gelegentlich unseren inneren Schweinehund … unseren eigenen Serienkiller. Genau das macht Sie so gut in Ihrem Job, dass Sie manchmal Angst davor kriegen. Ich weiß, wovon ich rede.«
Coleman lächelte schwach. »Aber wie kann man wissen, weshalb man sich in jemanden hineinversetzen kann? Ob es an dem Killer in einem selbst liegt oder einfach daran, dass dieser Jemand nicht der Mörder ist, den man sucht?«
»Ihre Intuition, meinen Sie?«
Sie nickte.
»Sie haben es vor ein paar Tagen selbst gesagt. Manchmal ist man sich absolut sicher, dass man weiß, wer der böse Bube ist, und dass man keinen Schlaf mehr findet, bis man ihn überführt hat, und wenn es Jahrzehnte dauert. Und manchmal – viel seltener allerdings – funktioniert es genau andersherum, wie beispielsweise jetzt. Sie haben viel Zeit mit Lynch verbracht und wissen in Ihrem Innern, dass er kein Killer ist. Sie konnten nicht aufhören, darüber nachzudenken. Das war der Grund, weshalb Sie Lynch nach den Ohren gefragt haben, und deswegen haben Sie als Einzige seine Reaktion auf Ihre Frage bemerkt.«
Sie nickte erneut.
»Verlassen Sie sich auf Ihre Intuition, Coleman. Aber erzählen Sie niemandem, dass ich das Ihnen anvertraut habe.«
Danach wurde sie ruhiger. Vielleicht dachte sie über das nach, was ich ihr gesagt hatte. Ich nahm an, dass sie noch mehr Fragen hatte, und schlug ihr vor, in Emery’s Cantina zu Mittag zu essen. Sie war einverstanden und ließ mich auf dem Parkplatz am FBI -Büro neben meinem Wagen aussteigen. Ich versprach ihr, im Emery’s zu sein, sobald ich mich im Hotel nach Zach erkundigt hatte.
»Wie hält er sich überhaupt?«, fragte Coleman, wobei sie den Blick über den Parkplatz schweifen ließ, als würde sie jemand Bestimmten suchen oder hoffen, dass wir nicht von dem Betreffenden gesehen wurden.
Ich wackelte mit dem Kopf. »Das versuche ich ja herauszufinden.«
»Werden Sie ihm sagen, dass Lynchs Geständnis möglicherweise falsch ist?«
»Verdammt, nein! Ich werde ihm diesmal überhaupt nichts sagen. Erst wenn wir etwas in der Hand haben, mit dem wir beweisen können, dass Lynch gelogen hat. Wir müssen eindeutige Beweise finden, und wir müssen Lynch auf eine Weise damit konfrontieren, dass ihm gar nichts anderes übrig bleibt, als die Wahrheit zu sagen. Solange wir das nicht können, muss Morrison nicht auf uns hören.«
Coleman verzog das Gesicht. »Lynch hat sein Geständnis heute Morgen unterschrieben. Die gerichtliche Anhörung ist auf Donnerstag festgesetzt.«
»Bleiben drei Tage, um das Geständnis zu widerrufen, bevor es in den Nachrichten kommt und Morrison wie ein Trottel dasteht. Dabei hat er ein ausgesprochenes Talent dafür. Scheiße.«
»Da ist noch eine Sache, die mir zu schaffen macht …«, sagte Coleman.
»Und welche?«
»Die Gegenstände in dieser Kiste erhärten den Verdacht, dass Lynch der Täter ist.«
»Ganz im Gegenteil«, widersprach ich. »Würden Sie sich die Mühe machen, die Geschichten berühmter Serienmörder auszudrucken und aufzubewahren, wenn Sie selbst einer wären? Meiner Meinung nach lässt ihn das eher als Möchtegern erscheinen. Wir sehen uns später.«
Ich stieg aus ihrem Wagen.
20.
Ich klopfte an die Tür von Zachs Hotelzimmer im Sheraton. Als niemand reagierte, benutzte ich den Zweitschlüssel, den ich mir beim Einchecken hatte geben
Weitere Kostenlose Bücher