Der stille Sammler
lassen.
Das Zimmer war leer. Keine Spur von Zach.
Wo war er? Wie war er überhaupt weggekommen (Zach hätte nie im Leben einen Bus benutzt), und was machte er gerade?
Ich schaute mich rasch im Zimmer um, fand aber nichts außer seiner kleinen Reisetasche mit ein paar Hemden, die noch in ihrer Plastikverpackung steckten, einer weiteren Chinohose sowie Unterwäsche. Und das sauber laminierte Foto von Jessica neben der Nachttischlampe. Im Badezimmer ein elektrischer Rasierer, eine Zahnbürste und eine kleine Reisetube Zahnpasta.
Ich schrieb eine Nachricht auf den Block, der neben dem Telefon auf dem Schreibtisch lag: Ich war hier und habe nach Ihnen gesucht. Rufen Sie mich an, Sie Trottel , gefolgt von meiner Nummer. Ich riss das Blatt herunter und schrieb die Notiz neu, indem ich das Sie Trottel wegließ und dafür ein bitte hinzufügte.
Ich war ziemlich genervt. Ich hatte mit Laura Coleman, die mir wegen Lynch im Nacken saß, genug um die Ohren. Hinzu kam meine Befürchtung, dass der Leichnam im Flussbett entdeckt wurde, sowie meine Ahnung, dass jemand mich umzubringen versuchte. Ich brauchte nicht auch noch Probleme mit Zach.
Dann sagte ich mir: Schluck’s runter. Nichts von alledem ist so schlimm, wie ein Kind zu verlieren. Nichts auf der Welt.
21.
Trotz meines Umwegs über Zachs Hotel war ich vor Laura Coleman in Emery’s Cantina. Diesmal nahm ich an der Theke Platz. Ich bestellte mir ein alkoholfreies Bier und lauschte den Unterhaltungen.
Ein Kollege von der Metro Police, den die anderen Frank nannten, erzählte, dass er eine Wurzelbehandlung benötige, und fragte herum, ob jemand einen guten Endodontologen wisse. Cliff, den ich bereits kannte, sagte, er habe das Wort schon mal gehört, aber keine Ahnung, was es bedeute. Emery erklärte, er habe einen Kiefer wie aus Beton und könne sich nicht erinnern, jemals beim Zahnarzt gewesen zu sein. Ein wenig herablassend fügte er hinzu, dass er zweimal am Tag Zahnseide benutze. Cheri erzählte, sie gehe nur zum Gentle Dental, wegen der Narkose.
Dann blickten alle fragend auf mich, als müsse sich jemand in meinem Alter mit Zahnbehandlungen auskennen. »Ich lasse meine Zahnprothesen immer in Costa Rica machen«, sagte ich ein wenig gereizt. »Die Dinger klappern wie Kastagnetten.«
Die anderen lachten, aber es klang, als lachten sie aus Höflichkeit und als wären sie nicht sicher, welcher Teil – Kastagnetten, Costa Rica oder Prothesen – als Witz gemeint war.
Cheri, die neben mir an der Theke stand, schaute mich an. »Ich hab gehört, dass Sie ’ne Art Berühmtheit sind«, sagte sie. Frank und Cliff starrten auf ihre Teller.
Mein Handy summte. Der Nerv an meinem Hals feuerte wild, und ich machte mich darauf gefasst, überrascht zu tun, falls Max mir jetzt erzählte, man habe den Leichnam im Flussbett gefunden. Diese verdammte Geschichte lauerte wie ein nicht enden wollender Albtraum in meinem Hinterkopf. Kennen Sie diese Art Albtraum, in dem Sie jemanden umbringen, und der schlimmste Teil ist das Wissen, dass Sie die Uhr nicht zurückdrehen und es ungeschehen machen können? Nein? Na, macht nichts.
Ich atmete tief durch, klappte mein Handy auf und fragte vorsichtig: »Hallo?«
»Brigid, ich bin es, Laura. Sind Sie fertig im Hotel?«
»Ja. Ich bin schon bei Emery’s.«
»Wie geht es Mr. Robertson?«
»Er war nicht da. Wo sind Sie?«
»Ich war nur schnell im Büro, um die neuen Nachrichten zu checken. Ich bin gleich bei Ihnen.«
Während ich auf Coleman wartete, brütete ich nicht zum ersten Mal darüber, was für einen Riesenfehler ich begangen hatte. Dass ich Max hätte anrufen sollen, gleich nachdem es passiert war, statt den Versuch zu machen, alles zu vertuschen. Tja, das ließ sich nicht mehr ungeschehen machen. Aber hätte ich alles anders gemacht, hätte ich die DVD nicht gefunden und nicht erfahren, dass der Kerl mich aufs Korn genommen hatte und dass alles irgendwie mit Lynch zusammenhing. Vielleicht wäre ich jetzt tot. Oder Carlo.
Ich ging noch einmal die Unterhaltung mit Lynchs Vater Wilbur und seinem Bruder Mike durch, konnte aber kein Motiv für ihre Verwicklung in die Geschichte finden. Stattdessen schienen beide sich von Floyd zu distanzieren, so gut sie konnten.
Wir tanzen jetzt im Kreis herum, und alle tanzen mit, ein Schritt nach vorn, ein Schritt zurück.
Ein Strahl Nachmittagssonne fiel in das schummrige Innere der Bar, und ich sah im Spiegel über dem Tresen, dass Laura Coleman zur Tür hereingekommen war. Ich bedeutete
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