Der stille Schrei der Toten
»Nun, Julia Roberts ist es gerade nicht, aber sagt dir der Name Sylvie Border was?«
»Seifenoper?« Bei dem Namen machte es klick bei mir, aber ich verband kein Gesicht damit. Ich war mir nicht einmal sicher, in welcher Soap sie mitspielte. Seit meinen Tagen am College an der Louisiana State University ist mir das Nachmittagsprogramm schnuppe. Das dürfte Ihnen einen Eindruck davon vermitteln, wie weit mein akademisches Engagement auf dem College ging.
Die Haustür stand weit offen, und ich besah mir den großzügigen Eingangsbereich mit seinem verschnörkelten Messingleuchter über dem whiskeyfarbenen Marmorboden, in dem sich das Glänzen des Leuchters spiegelte. Dieses bisschen Luxus musste schon sein für Nicholas Blacks Zweitausend-Dollar-pro-Woche-Gäste.
»Blacks Assistentin sagt, Sylvie Border sei hier gewesen, um die Dienste des Meisters persönlich in Anspruch zu nehmen, zusätzlich zum normalen Erholungs- und Entspannungsprogramm am See.«
»Seine Assistentin? Ist Black selbst nicht da?«
»Im Moment nicht. Ihr Name ist Michelle Tudor, aber sie möchte Miki genannt werden. Ist das nicht allerliebst? Miki mit einem k und zwei is . Ich habe sie mit dem Mord frühmorgens konfrontiert, als sie noch nicht ganz wach war, aber sie hat sich schnell gefangen und mich darüber informiert, dass Seine Durchlaucht gestern Abend im Privatjet nach New York geflogen ist für ein Interview in der, und jetzt halt dich fest, Claire, in der heutigen Frühausgabe der Today Show.«
»Black hat also ein Alibi? Wir werden es überprüfen, ehe wir ihn von der Liste der Verdächtigen streichen. Wie steht’s mit Miki mit einem k? Wo ist sie denn gewesen?« Was hatte es nur mit diesen blöden Namen plötzlich auf sich? Was war denn aus Mary und Jane und Cathy geworden? Konnten die Leute etwa nicht mehr schreiben?
»Angeblich hat sie wegen eines Fußballturniers ihres Sprösslings das ganze Wochenende in Lenexa, Kansas, verbracht. Sie sagt, ihr Mann sei da gewesen und noch fünfzig andere Leute, die ihren Aufenthalt dort bestätigen können. Sie wollte, sobald sie zurück ist, zu einem Gespräch vorbeischauen.«
»Und wann wird das sein?«
»Sie chartern einen Flug. Noch eine Stunde vielleicht.«
»Suze Eggers zufolge hat eine Nachbarin die Leiche gefunden.«
»Ja, die Lady aus dem Nachbarbungalow war schwimmen im See und hat das Opfer entdeckt. Sie war im ersten Moment völllig fassungslos darüber, was es war.«
Ich schaute ihn an. » Was es war?«
Bud steckte mir ein Paar Schutzhandschuhe und Papiergamaschen zu. »Du wirst es nicht glauben, wie viel Mühe sich dieser Kerl gegeben hat.«
Ich streifte die weißen Latexhandschuhe über und lehnte mich dann gegen die Verandabrüstung, um die Papiergamaschen über meine Nikes zu streifen. Bud stand an der Tür und ließ mir, ganz Gentleman, den Vortritt ins Foyer. Nach den ersten Schritten blieb ich stehen und nahm den Raum in Augenschein. Der Leuchter brannte und erhellte einen großen, runden Eichentisch mit einer Platte aus weißem Marmor. Langstielige, pinkfarbene Rosen in einer fächerförmigen Vase, die wie von Lalique aussah, zeigten erste Ermüdungserscheinungen. Ein schwerer Geruch, der mich an Leichenhallen erinnerte, lag in der Luft. Auf dem Tisch lag ein weißes Kärtchen. Ich beugte mich vor und las, was darauf stand, ohne es in die Hand zu nehmen. Willkommen in Cedar Bend, Liebling. Lass es dir gut gehen, erhol dich, und bis bald stand da in kleiner, schräg geneigter Handschrift geschrieben. Darunter stand der Name Nick .
Darauf betrat ich durch einen geschwungenen Bogengang ein lang gestrecktes Wohnzimmer, das auf den See hinausging. Draußen war es mittlerweile taghell, und das durch drei große Dachfenster einfallende Sonnenlicht zeichnete sich in drei rechteckigen Flächen auf dem Parkettboden ab. Alles war makellos sauber, wozu auch der schwere, schneeweiße Teppich vor dem Sofa passte. Ein halbes Dutzend raumhoher Terrassentüren eröffnete einen spektakulären Blick auf den glitzernden See.
Auf der Veranda waren diverse Sitzmöbel aus weißem Schmiedeeisen und mit blau-weiß gestreiften Polsterauflagen zu geselligen Gruppen arrangiert. Vorne, mit Blick auf das Wasser, standen Liegestühle aufgereiht, unterbrochen von großen Terrakottagefäßen voller Geranien und Ringelblumen.
»Okay, du hast mich genug auf die Folter gespannt, Bud. Wo ist sie?«
»Hier draußen.« Ich folgte ihm über das Hochglanzparkett zu einer halb geöffneten Verandatür.
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