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Der stolze Orinoco

Der stolze Orinoco

Titel: Der stolze Orinoco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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welch gutmüthige Natur, welch vortreffliches Herz, und was würde er nicht alles für die thun, die er liebt! Es scheint jedoch, daß diese sich in unsrer niedern Welt auf zwei Persönlichkeiten beschränken, auf den Oberst von Kermor und auf Jean, dessen Onkel zu spielen er zugestimmt hat.
    Mit welch’ ängstlicher Sorgfalt behütet er den jungen Mann! Wie sorgt er für ihn, obgleich er sich entschlossen hat, sich seiner Ansicht nach sehr streng zu erweisen! Man hätte ihn freilich nicht fragen dürfen, was diese Strenge für Zweck habe und warum er überhaupt diese ihm so widerstrebende Rolle spiele. Da hätte man zornige Blicke zu sehen und recht abschreckend lautende Antworten zu hören bekommen. Ja, er hätte jeden Frager mit Grazie dahin verwünscht, wo der Pfeffer wächst.
    Daran hatte es auch während der Fahrt von der Alten nach der Neuen Welt über den Atlantischen Ocean keineswegs gefehlt. Wie waren da die Passagiere des »Pereire«, die sich Jean hatten nähern, mit ihm gelegentlich plaudern oder ihm kleine, an Bord so alltägliche Dienste erweisen wollen, da sie sich für den jungen Mann zu interessieren schienen, der von seinem querköpfigen und wenig umgänglichen Onkel so hart behandelt wurde – wie waren sie zurückgescheucht worden mit dem ernstlichen Rathe, so etwas nicht noch einmal zu versuchen!
    Wenn der Neffe ein reichlich weites Reisecostüm mit flatternder Jacke und Hofe trug, die kurz geschnittenen Haare mit einem weißen Tropenhelm bedeckte und starksöhlige Stiefeln an den Füßen hatte, so erschien der Onkel im Gegentheil in einen langen Rock eingezwängt. Ohne grade eine Uniform zu sein, erinnerte er an eine solche doch durch den militärischen Zuschnitt. Es fehlten nur die Schnüre und die Achselstücke daran. Unmöglich konnte man den Sergeanten Martial überzeugen, daß es rathsamer sei, eine dem venezuolanischen Klima mehr angepaßte Kleidung zu wählen, die er folglich hätte anlegen sollen. Wenn er keine Dienstmütze trug, kam das nur daher, daß Jean ihn genöthigt hatte, auch einen Tropenhelm aus weißem Stoff aufzusetzen, der besser als jede andre Kopfbedeckung gegen die Gluthstrahlen der Sonne schützt.
    Der Sergeant Martial war dem Befehle nachgekommen. Doch, »was kümmerte er sich denn um das bischen Sonne!« – er mit seinem Felle von kurzen, starren Haaren und einem Schädel aus Stahl!
    Selbstverständlich enthielten die, wenn auch nicht gar so umfänglichen Reisesäcke des Onkels und des Neffen, was Kleidung zum Wechseln, Leibwäsche, Toilettenbedürfnisse, Schuhwerk u. dgl. betraf, alles, was eine solche Reise erforderte, da sich solche Dinge unterwegs ja nicht neu beschaffen ließen. Darunter befanden sich Schlafdecken und auch Waffen und Munition in ausreichender Menge, ein Paar Revolver für den jungen Mann und ein zweites Paar für den Sergeanten Martial – ohne ein kurzes Gewehr zu zählen, von dem letzterer, ein sehr sichrer Schütze, bei Gelegenheit guten Gebrauch zu machen hoffte.
    Bei Gelegenheit?… Sind die Gefahren im Gebiete des Orinocobeckens denn gar so groß, daß man wie im Innern Afrikas jeden Augenblick zur Vertheidigung bereit sein muß? Streifen wohl so viele Banden räuberischer, blutdürstiger Indianer, die zum Theil noch Menschenfresser sein sollen, an den Ufern und in der Nachbarschaft des Stromes umher?
    Ja und nein.
    Wie es schon aus dem Gespräche der Herren Miguel, Felipe und Varinas hervorging, bietet der untere Orinoco von Ciudad-Bolivar bis zur Einmündung des Apure keinerlei Gefahr. Sein Mittellauf, zwischen dieser Flußmündung und San Fernando de Atabapo, erheischt schon einige Vorsicht, besonders wegen der übel beleumundeten Quivas-Indianer. Der Oberlauf des Stromes aber ist nichts weniger als sicher; die Stämme, die hier hausen, haben noch ihre völlige Wildheit bewahrt.
    Wie der Leser weiß, lag es nicht in der Absicht des Herrn Miguel und seiner beiden Collegen, über den Flecken San-Fernando hinauszugehen. Ob der Sergeant Martial und sein Neffe sich noch weiter hinauswagen würden, ob unvorhergesehene Zwischenfälle sie vielleicht bis zu den Quellen des Orinoco hinauf führen sollten, das konnte niemand wissen und wußten sie vorher selbst nicht.
    Unzweifelhaft war nur, daß der Oberst von Kermor Frankreich vor vierzehn Jahren verlassen hatte, um sich nach Venezuela zu begeben. Was er daselbst machte, was aus ihm geworden war, infolge welcher Umstände er sich zu einer so überstürzten Auswanderung entschlossen hatte, daß

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