Der strahlende Tod
daß Blut/ Durch eure Adern fließt.«
Nein, an Mahnungen und Warnungen hat es nie gefehlt. Aber wann hören die, die angesprochen werden, schon darauf?
Die Zeit der Antikriegslieder und der Mahnungen ist vorbei. Es ist geschehen, und das ist endgültig und nicht mehr rückgängig zu machen. Jetzt muß gehandelt werden. Wenn es sein muß, hart. So hart, wie es die Verfechter der Gewaltlosigkeit noch nie getan haben. Aber es gibt gute Gründe dafür. Es muß endlich Frieden einkehren in dieser Welt, deren Geschichte zum größten Teil aus Kriegen und Gewalttaten besteht.
*
Ich habe, als der Befehl kam, meine Wohnung nicht verlassen. Ich sah nicht ein, warum ich es tun sollte. Die übrigen Hausbewohner begaben sich in den Keller, der maximalen Schutz bieten sollte. Ich habe das immer bezweifelt. Ich war in meiner Wohnung und habe beobachtet. Ich habe den Himmel beobachtet. Vielleicht erwartete ich, daß Feuer am Himmel sei und Rauch und Flammen. Aber es war ganz anders.
Es geschah Minuten nach dem Befehl, die Bunker und Keller aufzusuchen. Es gab weder einen Feuerball, noch einen Knall oder ähnliches, was ich erwartet hatte. Es erschienen keine Raketen am Himmel, keine Atombomber.
Es gab mehrere harte, wellenartige Erschütterungen des Bodens. Manche Häuser sackten etwas in sich zusammen, einige brachen auch auseinander, aber das waren Ausnahmen. Ich wartete lange auf weitere Anzeichen, aber das war und blieb alles. Ich konnte mir das nicht erklären. Schließlich sah ich, wie sich der Himmel verfärbte.
Er wurde zunächst grün, blau und orangefarben. Und dann war langsam festzustellen, woher die Strahlung kam. Die Strahlung kam von unten, aus den Bunkern und Kellern. Es war kein Bombenkrieg, jedenfalls nicht überall. Es war ein chemischer Krieg, die Strahlung kam aus den Wasserleitungen. Ich stellte das fest, nachdem ich den Wasserhahn aufgedreht hatte. In Sekundenschnelle hatte sich das Zimmer mit diesen merkwürdigen Strahlen gefüllt. Aber diese Strahlen hatten keinen schädlichen Einfluß auf mich, jedenfalls bis jetzt nicht. Aber wenn es bisher nicht geschehen ist, wird es kaum noch passieren. Ich habe fortan Wasser nur noch aus Flaschen getrunken.
Sofort nach dieser Feststellung bin ich zum Keller des Hauses gegangen. Ich wollte die Leute warnen, nicht von dem Wasser zu trinken, das da aus den Leitungen kam. Aber es war schon zu spät. Sie hatten es zum Kochen und zum Waschen benutzt, und sie hatten es auch schon getrunken.
Es ging alles sehr schnell. Zunächst stellte sich eine Art Euphorie ein, eine rauschähnliche Stimmung, die entsteht, wenn man Rauschmittel wie LSD oder Haschisch nimmt. Aber diese Stimmung wich bald einer anhaltenden Lethargie. Auf die Lethargie folgten Depressionen und der Tod. Alle Menschen in dem Keller starben. Sie starben einen ruhigen, sanften Tod.
Ich war lange bei einer Frau, die ich gut kannte. Sie erzählte von herrlichen Farben, die sie sähe, von einem nie gekannten Glücksgefühl. Und als sie mich anblickte und sagte, sie sei noch nie so glücklich gewesen, da riß etwas in mir. Sie starb in meinen Armen. Zuletzt hat sie nichts mehr gesagt. Sie hörte auch nichts mehr. Ich weiß natürlich nicht genau, ob sie noch hören konnte, jedenfalls antwortete sie nicht mehr.
Wie ihr ging es allen Menschen in dem Bunker. Ich war der einzige, der nicht von dem Wasser getrunken hatte, und ich war der einzige, der am Leben blieb. Ich verschloß den Keller und ging wieder in meine Wohnung.
Über das, was danach geschah, fällt es mir schwer zu berichten. Es war so, als hätte ich in dem Augenblick, in dem die Frau starb, eine Bewußtseinsspaltung erlitten. Ich lebte einfach weiter wie bisher und ignorierte die Umwelt völlig. Ich war krank. Aber ich war nicht körperlich krank.
Ich weiß nicht mehr, wie lange das ging; ich weiß nicht mehr, ob es Tage oder Wochen waren. Ich hatte mich in eine Scheinwelt geflüchtet, in eine Welt, die es nicht mehr gab.
In dieser Zeit wurde die Sonne immer blasser. Ich sah zu, wie sie sich veränderte. Die meisten Häuser begannen zu strahlen. Die Strahlung stieg und hielt sich dann an den Spitzen der Häuser und Wolkenkratzer und hing wie eine Glocke über der Stadt.
Ich muß noch einmal sagen, daß mir die Strahlung bisher nicht geschadet hat. Das einzige, was sich langsam bemerkbar macht, ist mein Magen. Ich esse ziemlich unregelmäßig, meistens nur ein- oder zweimal am Tag, und darauf muß sich der Magen erst einstellen.
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