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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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hätte. Sie sah, wie er minutenlang innehielt und sein Blick abschweifte, als ginge sein Verstand unzähligen neuen Spuren nach, die er alle versuchte zu Ende zu verfolgen; sie sah, wie er Seiten zurückblätterte, dann stehen blieb, sich zwang weiterzulesen, als wäre er zerrissen zwischen seinem Drang fortzufahren und dem Eifer, all die Möglichkeiten, die sich nun vor seinen Augen auftaten, begreifen zu wollen. Sie sah seine stille Begeisterung, sie wusste, dass er das Büro, ihre Anwesenheit und alles andere ringsum vergessen hatte, außer dem Anblick einer großen Errungenschaft – und als Dank dafür, dass er zu dieser Reaktion fähig war, wünschte sie, sie könnte Dr. Robert Stadler mögen.
    Über eine Stunde lang hatten sie geschwiegen, als er zu Ende gelesen hatte und zu ihr aufsah. „Aber das ist ganz außergewöhnlich!“, sagte er in dem freudvollen, erstaunten Ton von jemandem, der ihr unerwartet eine gute Nachricht verkündete.
    Sie hätte ihm gerne zugelächelt und ihm die Kameradschaft einer geteilten Freude entgegengebracht, doch sie nickte nur kaum merklich und sagte kühl: „Ja.“
    „Aber Miss Taggart, das ist fantastisch!“
    „Ja.“
    „Haben Sie gesagt, es sei eine technische Angelegenheit? Es ist mehr, viel, viel mehr als das! Der Teil, in dem er über seinen Wandler berichtet – man kann nachvollziehen, von welchen Voraussetzungen er ausgeht. Er hat ein völlig neues Energiekonzept entwickelt. Er hat all unsere gültigen Annahmen, nach denen solch ein Motor unmöglich wäre, verworfen. Er hat eine eigene neue Prämisse formuliert und das Geheimnis von der Umwandlung statischer Energie in kinetische Energie gelöst. Wissen Sie, was das bedeutet? Können Sie sich vorstellen, was für ein Kraftakt die reine abstrakte, wissenschaftliche Arbeit war, die er vollbringen musste, bevor er diesen Motor bauen konnte?“
    „Wer?“, fragte sie ruhig.
    „Wie bitte?“
    „Das ist die erste der beiden Fragen, die ich Ihnen stellen wollte, Dr. Stadler. Fällt Ihnen ein junger Wissenschaftler ein, dem Sie vor etwa zehn Jahren begegnet sein könnten, der in der Lage wäre, das zu schaffen?“
    Er zögerte erstaunt. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich diese Frage zu stellen. „Nein“, sagte er schließlich mit gerunzelter Stirn, „es fällt mir keiner ein. … Und das ist merkwürdig … denn eine derartige Begabung wäre sicher nirgends unbemerkt geblieben … irgendjemand hätte mich auf ihn aufmerksam gemacht … vielversprechende junge Physiker schickte man immer zu mir. … Sagten Sie, Sie hätten all das im Forschungslabor einer gewöhnlichen Motorenfabrik gefunden?“
    „Ja.“
    „Das ist seltsam. Was tut er an einem solchen Ort?“
    „Einen Motor entwickeln.“
    „Genau das meine ich damit. Ein Mann mit der Genialität eines großen Wissenschaftlers, der beschließt, ein kommerzieller Erfinder zu werden? Das ist doch unerhört! Er wollte einen Motor bauen und vollzog im Stillen eine bedeutende Revolution in der Energiewissenschaft, nur als Mittel zum Zweck, und er fand es nicht der Mühe wert, seine Ergebnisse zu veröffentlichen, sondern machte sich gleich daran, seinen Motor zu bauen. Warum wollte er seinen Verstand für praktische Anwendungen verschwenden?“
    „Vielleicht weil er sein Leben auf dieser Erde mochte“, sagte sie unwillkürlich.
    „Wie bitte?“
    „Nein, ich … Entschuldigen Sie, Dr. Stadler, ich wollte nicht über … irrelevante Dinge sprechen.“
    Seinen eigenen Gedanken nachhängend ließ er seinen Blick schweifen. „Warum ist er nicht zu mir gekommen? Warum war er nicht in einer wichtigen wissenschaftlichen Einrichtung, wo er hingehörte? Wenn er klug genug war, dies hier zu schaffen, kannte er mit Sicherheit auch die Bedeutung dessen, was er getan hat. Warum hat er keinen Aufsatz über seine Definition von Energie publiziert? Ich kann seiner generellen Richtung folgen, aber, zum Teufel, die wichtigsten Seiten fehlen, die Erklärung ist nicht dabei! Irgendjemand in seinem Umkreis hätte doch genug wissen müssen, um seine Arbeit der ganzen wissenschaftlichen Welt vorzustellen. Warum haben sie das nicht getan? Wie konnten sie eine solche Sache aufgeben, einfach aufgeben?“
    „Das sind die Fragen, auf die ich keine Antwort weiß.“
    „Und dann, rein praktisch gesehen, warum landete der Motor in einem Schrotthaufen? Man würde doch annehmen, dass irgendein habgieriger Dummkopf von einem Industriellen ihn sich geschnappt hätte, um damit ein

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