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Der Stundenzaehler

Der Stundenzaehler

Titel: Der Stundenzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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weshalb sie das nie bemerkt hatte, sondern immer nur Augen für Ethan gehabt hatte. Der Mann, der gerne Bananen aß, dachte mehr an sie als Ethan.
    Sarah schämte sich.
    Sie wandte sich zu Dor.
    Schluckte schwer.
    Â»Wo ist meine Mutter?«, flüsterte sie.
    Wieder veränderte sich die Umgebung. Heller Tag, Schneeberge am Straßenrand.
    Sie befanden sich auf dem Parkgelände eines Autohändlers. Ein Angestellter in Winterjacke kam aus dem Büro, ein Klemmbrett in der Hand. Er ging einfach durch Dor, Victor und Sarah hindurch zu einem grauen Kombi. Trat zur Beifahrerseite.
    Â»Es ist eiskalt«, sagte der Mann durch das geöffnete Fenster. Sein Atem bildete Wolken in der Luft. »Wollen Sie nicht lieber reinkommen?«
    Lorraine schüttelte den Kopf und unterschrieb rasch die Papiere. Sarah bewegte sich zögernd auf sie zu.
    Â»Mom?«, flüsterte sie.
    Der Angestellte nahm die Papiere in Empfang und kehrte ins Büro zurück.
    Lorraine sah ihm nach. Presste die Lippen zusammen, während ihr Tränen übers Gesicht strömten.
    Sarah erinnerte sich, wie sie selbst so geweint hatte, in den Armen ihrer Mutter, über Hänseleien in der Schule, über die Trennung der Eltern. Ihre Mutter, so verrückt sie manchmal auch sein mochte, hatte immer Zeit für sie gehabt. Hatte ihr den Kopf gestreichelt und gemurmelt, dass alles wieder gut würde.
    Und nun konnte Sarah nichts für ihre Mutter tun.
    Sarah sah einen anderen Mann aus dem Büro kommen. Er steckte Papiere in einen Umschlag. Ihr Onkel Mark aus North Carolina. Er stieg auf der Fahrerseite in den Kombi.
    Â»Alles erledigt«, sagte er. »Tut mir leid, dass du extra herkommen musstest, aber ohne deine Unterschrift hätten sie den Wagen nicht angenommen.«
    Lorraine schniefte. »Ich will dieses Auto nie mehr wiedersehen.«
    Â»Versteh ich.«
    Beide sahen schweigend zu, wie der Angestellte in den blauen Ford stieg.
    Â»Wollen wir los?«, fragte Mark.
    Â»Warte.«
    Lorraine sah dem Ford nach, bis er aus ihrem Blickfeld verschwand. Dann schluchzte sie laut auf.
    Â»Ich hätte da sein müssen, Mark.«
    Â»Es ist nicht deine Schuld …«
    Â»Ich bin ihre Mutter !«
    Â»Es ist nicht deine Schuld.«
    Â»Warum hat sie das getan? Warum wusste ich nichts davon ? «
    Ihr Bruder versuchte unbeholfen, Lorraine zu umarmen.
    Sarah schlang die Arme um sich.
    Ihr war ganz übel.
    Sie war so sehr damit beschäftigt gewesen, ihrem eigenen Leid zu entkommen, dass sie nicht bedacht hatte, wie viel Leid sie anderen mit ihrem Tod zufügen würde.
    Sie sah, wie ihre Mutter den Umschlag mit den Papieren an die Brust presste, weil ihr nur noch das von ihrer Tochter geblieben war – die Quittung für das Auto, mit dem Sarah sich das Leben genommen hatte.
    Dor trat vor Sarah und wiederholte leise Lorraines Frage.
    Warum?
    Warum nimmst du dir das Leben?
    Warum willst du einsam in einer Garage sterben?
    Warum bereitest du jemandem, den du liebst, so viel Schmerz?
    Sarah wollte alles erklären: die Kränkung durch Ethans Zurückweisung. Die Demütigung durch seine Freunde. Den Schock, im Internet bloßgestellt zu werden. Ihre Zukunftswünsche zerstört zu sehen, so dass es ihr wie eine Verheißung erschienen war, vollgepumpt mit Abgasen aus dem Leben zu scheiden.
    Sie wollte alles auf Ethan und ihr verpfuschtes Leben schieben. Doch als sie Ethan jetzt sah, ihre Mutter, die Welt nach jener Welt, die Sarah vertraut gewesen war, verstand sie etwas.
    Sarah befreite sich von ihrem Selbstmitleid und erkannte ihre eigene Wahrheit.
    Und sagte nur: »Ich war so einsam .«
    Vater Zeit erwiderte: »Du warst niemals einsam.«
    Er legte die Hand auf Sarahs Augen.
    Und sie sah eine Höhle und einen bärtigen Mann, der die Augen geschlossen und den Kopf in die Hände gestützt hatte.
    Â»Sind Sie das?«, flüsterte sie.
    Â»Fern von der, die ich liebe.«
    Â»Wie lange schon?«
    Â»So lange es die Zeit gibt.«
    Sarah sah, wie Dor aufstand und Symbole in die Felswände ritzte. Drei gewellte Linien.
    Â»Was ist das?«
    Â»Ihr Haar.«
    Â»Warum machen Sie das?«
    Â»Als Erinnerung.«
    Â»Ist sie gestorben?«
    Â»Und ich wollte es ihr gleichtun.«
    Â»So sehr haben Sie sie geliebt?«
    Â»Ich hätte mein Leben für sie gegeben.«
    Â»Hätten Sie sich selbst das Leben genommen?«
    Â»Nein, Kind«, antwortete Dor. »Das liegt

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